02/16  PERSONALquarterly
        
        
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          der Bundesagentur für Arbeit. Im April 2014 bündelte das IAB
        
        
          die Arbeit rund um den Mindestlohn in einer Arbeitsgrup-
        
        
          pe. Im Januar gab das Institut im Arbeitsmarktspiegel eine
        
        
          erste Zwischenbilanz zu Entwicklungen nach Einführung des
        
        
          Mindestlohns heraus, die auf Zahlen des ersten Halbjahres
        
        
          2015 basiert. Für den Sommer kündigt das IAB eine Fort-
        
        
          schreibung an, in der man schon eher zwischen kurzfristigen
        
        
          Ausschlägen und längerfristigen Effekten unterscheiden
        
        
          könne. Arbeitsgruppenleiter Mario Bossler setzt darauf, dass
        
        
          sein Team bis dahin verschiedene Datenquellen ausschöp-
        
        
          fen kann. Eine Basis ist der Mikrozensus, die repräsentative
        
        
          Haushaltsbefragung des Statistischen Bundesamtes. Eine
        
        
          weitere Quelle sind die Sozialversicherungsmeldungen der
        
        
          Arbeitgeber. Ebenfalls genutzt wird das Sozio-oekonomische
        
        
          Panel des DIW – Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung,
        
        
          mit dem seit 30 Jahren rund 30.000 Menschen in 11.000 Haus-
        
        
          halten unter anderem zu Einkommen und Erwerbstätigkeit
        
        
          befragt werden. Das IAB selbst führt über das Betriebspanel
        
        
          seit 1993 Befragungen bei jährlich etwa 16.000 Unternehmen
        
        
          durch und verfügt so in beschäftigungspolitischen Themen
        
        
          über einen umfassenden Längsschnittdatensatz, in dem seit
        
        
          Neuestem auch der Mindestlohn berücksichtigt wird. Eben-
        
        
          falls hauseigen ist PASS – das Panel Arbeitsmarkt und soziale
        
        
          Sicherung, eine jährliche Wiederholungsbefragung von rund
        
        
          10.000 Haushalten zur Dynamik der Grundsicherung und zur
        
        
          sozialen Lage von Haushalten im Grundsicherungsbezug. „Im
        
        
          Vergleich zu der Situation bei den Hartz-Reformen haben wir
        
        
          eine gute Datenlage“, sagt Mario Bossler optimistisch.
        
        
          
            Zufallsexperiment unmöglich
          
        
        
          In Datensätzen erfasst und von unterschiedlichsten Forschern
        
        
          befragt werden Betroffene und Nichtbetroffene, Betriebe und
        
        
          Mitarbeiter. Bossler selbst hat sich auf Betriebsvergleiche spe-
        
        
          zialisiert. Da das Mindestlohngesetz rund eineinhalb Jahre
        
        
          V.l.n.r.: Prof. Dr. Thomas K. Bauer (Ruhr-Universität Bochum), Karel Fric (European Foundation, Dublin),
        
        
          Dr. Mario Bossler (IAB – Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg)
        
        
          Vorlauf hatte, konnten Erhebungen schon vor der Änderung
        
        
          im Januar 2015 betriebliche Daten erfassen, die für den Min-
        
        
          destlohn wichtig sind. Jetzt werden die betrieblichen Anpas-
        
        
          sungsmaßnahmen zu den Erwartungen und zu den Daten vor
        
        
          2015 in Relation gestellt. Der IAB-Mann räumt ein: „Ein Ex-
        
        
          periment wäre spannend, aber man kann ja schlecht in einer
        
        
          zufällig herausgefilterten Region oder Firma den Mindestlohn
        
        
          einführen und in einer anderen nicht, damit wir Forscher eine
        
        
          idealere Datenbasis erhalten.“
        
        
          Wie es mit der Höhe des Mindestlohns weitergehen soll,
        
        
          darüber berät die Mindestlohn-Kommission aus jeweils drei
        
        
          Gewerkschafts- und Arbeitgebervertretern sowie zwei Wirt-
        
        
          schaftswissenschaftlern unter dem Vorsitz des ehemaligen
        
        
          RWE-Arbeitsdirektors Jan Zilius. Bis zum 30. Juni soll sie
        
        
          einen Vorschlag machen. Die Mindestlohn-Kommission wird
        
        
          für ihre Empfehlung auf die Ergebnisse diverser Forschungs-
        
        
          einrichtungen zurückgreifen – da kommt das arbeitgeberna-
        
        
          he IW – Institut der deutschen Wirtschaft Köln ebenso zum
        
        
          Zuge wie die arbeitnehmerorientierte Hans-Böckler-Stiftung
        
        
          in Düsseldorf, das DIW wie das IAB. Dennoch wird es wieder
        
        
          ein Moment werden, in dem die Öffentlichkeit über den Min-
        
        
          destlohn eher schwarz-weiß als abwägend diskutieren wird
        
        
          und in dem sich Annahmen wie Wahrheiten lesen werden.
        
        
          Mario Bossler hält es da eher mit wissenschaftlich fundierter
        
        
          Nachdenklichkeit. Dazu gehört die Diskussion mit allen For-
        
        
          schern der politischen und wirtschaftlichen Farbenlehre. „Im
        
        
          wissenschaftlichen Diskurs legen wir unsere Methoden of-
        
        
          fen“, sagt er. „So sehen wir, ob sie bei allen unterschiedlichen
        
        
          Annahmen valide sind, und können die Ergebnisse herleiten,
        
        
          nachvollziehen und vergleichen.“ Sein Ziel: „Der Wahrheit ein
        
        
          Stück näher kommen.“
        
        
          Wahrscheinlich täte es auch den Medien gut, im Wissen-
        
        
          schaftstransfer stärker auf die Methodenanalyse zu achten als
        
        
          auf die knackige Schlagzeile.