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4.2019
dann auf dieses moderne Stahlgebäude. Ich war erschüttert und
begeistert zugleich! Das Licht, das durch die Glasbausteine im
Treppenhaus fiel, die riesengroßen Markisen vor den Fassaden,
die filigranen Balkone, die delikaten Details!
In dem Moment war mir klar: Das wollte ich auch machen!
Ich will Architekt werden, ein Schöpfer, der solche Häuser baut.
EinHaus, eine Entscheidung, ein Beruf, ein Leben lang. Wie sim-
pel. Die Wirklichkeit sieht heute aber für die meisten anders aus.
Am Tisch in Kreuzberg sitzen junge Investorenvertreter, Finan-
zierungsspezialisten, kaufmännische und technische Projektent-
wickler, Marketingspezialistinnen, einige haben auchArchitektur
studiert, dann aber noch ein zweites, spezielleres Studium dran-
gehängt. Studiengänge, die ich bis vor Kurzem noch gar nicht
kannte. An Schulen, die es auch erst seit ein paar Jahren gibt.
Solch ein Erweckungserlebnis, wie mir in Genf, ist keinem am
Tisch passiert. Ihre Lebenswege scheinen fließender abzulaufen.
Mit vielen kleinen Steuerungsbewegungen, sehr flexibel, auchmit
Richtungswechseln, aber weniger Drama.
Mit meinem Studienabschluss ging ich nach London. Dort
gab es die Büros und Schulen, die wussten, wie man diese neue
Architektur macht, wie man Häuser wie Autos zusammenbaut.
Foster, Rogers, Hopkins, Horden, Cook, die großen Ingenieur-
büros und Schulen hatten die Hightech-Architektur von Eames,
Buckminster Fuller und Prouvé weiterentwickelt. Wenn man so
bauen wollte, musste man sich das vor Ort aneignen.
Mein Studienfreund Patrik Schumacher arbeitete bereits bei
Zaha Hadid. Sie standen noch ganz amAnfang und wolltenmich
überzeugen, dort anzufangen. Nach einerWoche in London hatte
ich noch keine Stelle bei einem der etablierten Büros und war
am Boden. Also schleppte ich mich mit meiner Mappe unter
dem Arm erneut zu Zahas Büro. Aber als ich vor der Tür stand,
klingelte ich nicht. Ich konnte es einfach nicht. Ich sah zwar das
große Potenzial, wollte aber kein Büro aufbauen, sondern lernen,
wie Häuser zusammengeschraubt werden.
Auch meine jungen Gesprächspartner am Tisch kennen die
Suche nach dem eigenen Weg sehr gut. Sie sprechen Chinesisch,
arbeiten von London oder sonstwo aus, fürUnternehmen aus aller
Welt, wechseln häufig die Städte und den Arbeitgeber, um noch
schneller zu lernen, bewegen sich mehr oder weniger geschmei-
dig in internationalen Konzernstrukturen, durchlaufen Weiter-
bildungsprogramme und erfüllen täglich hohe Erwartungen an
ihre Teamfähigkeit. Also, ich find die richtig gut. Dagegen sehen
die, die heute in Cannes das Sagen haben, unbeweglicher aus.
Die Deutschen trinken vorrangig mit den Deutschen und die
Engländer mit den Engländern. Und auch die Franzosen haben
ihr eigenes Zelt aufgebaut. Europa im Werden.
Die Zinsen bleiben so oder so auf absehbare Zeit unten und
keiner warnt mehr vor einem Crash. Dort, wo die Krönungs-
messe der Immobilienwelt Jahr für Jahr gefeiert wird, fließt also
fürs Erste der Champagner weiter. Aber das Ganze wirkt auf
mich immer fremder in einer sich schnell verändernden Welt.
Die Fragen, die wirklich etwas wenden könnten, werden nicht
gestellt. Hier geht es um einzelne Projekte und die Deals weniger
Beteiligter. Eben um das persönliche Vorankommen. Aber das,
was tatsächlich in den Städten entschieden werden muss, steht
dort nicht auf der Agenda.
Die Symptome sind deutlich zu sehen. In den letzten Jahren
sind viele sehr reich geworden. Sehr reich. Aber angemessener
Wohnraum in den Ballungsräumen oder Klimapolitik interes-
siert hier nur wirklich, wenn es mit Enteignungen oder anderen
Zwangsmaßnahmen verbunden wird. Dann ist die Entrüstung
groß. Meinen Gesprächspartnern am Tisch in Kreuzberg gebe
ich dann doch noch einen Rat mit auf den Weg. Privilegien für
wenige werden nur dann auf Dauer akzeptiert, wenn das auch
für die anderen und Nachfolgenden etwas bringt.
Gebt eurem Leben einen Sinn. Geht mit Empathie und Ver-
antwortung für eure Mitmenschen an die Sache und macht die
Welt zu einem besseren Ort. Denn die Unterschiede zwischen
denen im Palais und jenen auf der Straße werden immer größer.
Das hat auch die schöne Marie-Antoinette den Kopf gekostet.
Doch als am Freitag die Schüler von Cannes mit ihren Plaka-
ten lautstark für eine konsequente Klimapolitik demonstrier-
ten, waren die meisten Immobiliers bereits ins Wochenende
gefahren.
Wir müssen mit Verantwortung an die Sache gehen. Denn die Unter-
schiede zwischen denen im Palais und jenen auf der Straße werden
immer größer. Das hat schon Marie-Antoinette den Kopf gekostet ...
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.