Immobilienwirtschaft 4/2019 - page 31

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4.2019
In Zeiten von Bauboom und Rohstoffknappheit entdecken Architekten das Thema Recycling.
Auch Immobiliengesellschaften erkennen, dass die größte Ressource im eigenen Gebäude-
bestand steckt. Digitale Lösungen helfen, Bauteile wiederzuverwenden.
mit gebrauchten Bauteilen erfordert au-
ßerdem besondere Flexibilität. So wurde
der Rohbau auf die vorhandenen Dimen-
sionen der gebrauchten Fenster ausgerich-
tet und nicht wie üblich anders herum.
Eine gute Dokumentation und Da-
tenlage zu in Gebäuden verbauten Mate-
rialien und Bauteilen ist zentral für einen
recyclinggerechten Planungs- und Bau-
ansatz. Chancen bietet hier vor allem das
Building InformationModeling (BIM). Im
Rahmen des EU-Forschungsvorhabens
„Buildings as Material Banks“ erarbeiten
15 europäische Unternehmen sowie For-
schungsinstitute und Universitäten einen
elektronischen Materialpass für Neu-
und Umbauten. Sie entwickeln dafür eine
BIM-fähige Systematik und Datenbank.
Die Digitalisierung ermöglicht es, den
eigenen Gebäudebestand und damit das
eigene Bauteillager mit wichtigen Infor-
mationen zu Alter, Dämmwerten, Abmes-
sungen, bauaufsichtlichen Zulassungen
und Schadstoffbelastung zu erfassen und
inwelchemGebäude sie seit wann verbaut
sind. Diese Daten dienen im Rahmen von
Sanierungs- und Nutzungszyklen als Pla-
nungsgrundlage.
Altgebäude: Das ehemalige „Haus der
Jugend“ wurde zeitgleich saniert und zu
einem Wohnprojekt umgenutzt. Durch
den Umbau wurde die erst vor rund zehn
Jahren erbaute Fassade obsolet. Die neu-
wertigen Fensterelemente konnten de-
montiert und anschließend imRecycling-
haus verbaut werden. Auch die Fassaden-
paneele kommen, neu zugeschnitten und
lackiert, auf dem Kronsberg zum Einsatz,
während die stählernen Auflagerkonsolen
der Fenster jetzt als Treppenstufen dienen.
BIM ermöglicht eine
Bestandsaufnahme
möglicher Bauteile
Der Energieverbrauch zur Herstellung
von Bauteilen wie Fenster, Türen, Beton-
fertigteilen oder Fassadenelementen ist
sehr hoch. Ihre Weiternutzung ist daher
sinnvoll, erfordert aber ein Umdenken in
der Planung. Denn im Vordergrund der
Konstruktion steht die Rückbaubarkeit
der Gebäude. Das Recycling aller verwen-
detenMaterialien nach der Nutzungspha-
se wird in der Planung bereits mitgedacht.
Alle eingesetzten Produktemüssen ökolo-
gisch unbedenklich, sortenrein trennbar
und kreislauffähig sein. Zukünftig können
so im Zuge von Sanierungs- oder Abriss-
arbeiten die alten Gebäude demontiert
und zu neuen zusammengesetzt werden.
Der umfassende Recyclingansatz ist
eine planerische und logistische Heraus-
forderung für alle am Bau Beteiligten. So
musste die Planung für das Wohnhaus auf
dem Kronsberg in Hannover noch wäh-
rend der Bauphase kontinuierlich ange-
passt werden, da laufend neu gefundene
Materialien integriert wurden. Einige da-
von stellten sich allerdings als ungeeignet
heraus, weil sie keine bauaufsichtlichen
Zulassungen hatten, Schäden oder Schad-
stoffbelastungen aufwiesen. Die Planung
Fotos: Gundlach; Cityförster
«
Felix Rebers und Oliver Seidel,
Cityförster architecture + urbanism
28
Milliarden Tonnen Material
umfassen der gesamte Ge-
bäudebestand und die Infra-
struktureinrichtungen Deutsch-
lands – ein riesiges menschen-
gemachtes Rohstofflager.
Links: Recyclinghaus in
Hannover mit Fenstern
aus dem ehemaligen
„Haus der Jugend“
Unten: Innenraum mit
gebrauchten Türen aus
einer alten Scheune
und Immobilien GmbH & Co. KG aus
Hannover erkannte das große Potenzial
seines eigenen Immobilienbestands als
Ressource. 2015 lobte das Unternehmen
einen Wettbewerb zur Entwicklung des
experimentellenWohnhauses aus. „Unser
Ziel war es, voranzugehen, praktische Er-
fahrungen zu sammeln und Beispiele für
eine breitere Umsetzung zu finden“, sagt
Gundlachs Ökologiebeauftragter Franz-
Josef Gerbens. Deshalb testet Gundlach
zusammen mit den Architekten in die-
sem Projekt verschiedene Arten des Re-
cyclings.
Cityförster setzte einerseits auf re-
cycelbare Bauteile wie den Rohbau aus
leimfrei zusammengesetzten Massivholz-
elementen. Andererseits verwendeten
die Architekten recycelte Materialien,
beispielsweise ein Fundament aus Recyc­
lingbeton oder Fassadendämmung aus
Jutesäcken. Es kommen auch gebrauchte
Bauteile zum Einsatz. Ein Großteil der
eingesetzten Bauteile entstammt einem
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