Immobilienwirtschaft 6/2019 - page 36

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VERMARKTUNG & MANAGEMENT
I
IMMOBILIENVERMARKTUNG
Prozess der Wohnungsvermittlung um:
Über das Portal sucht nicht der Mie-
ter die richtige Wohnung, sondern der
Vermieter den passenden Mieter. Woh-
nungsinteressenten erhalten passende
Angebote auf Basis ihrerWunschkriterien
per Matching-Tool direkt vomVermieter.
Der Algorithmus gleicht die Anforderun-
gen des Vermieters und die Kriterien des
Wohnungssuchers miteinander ab.
Gibt es ein Match, können beide
Parteien miteinander in Kontakt treten.
Auf diese Weise erhalten Vermieter eine
Vorauswahl geeigneter Bewerber und
können Exposés gezielt an potenzielle
Wohnungssuchende versenden. Mas-
senbesichtigungen und eine Flut von
Bewerbungsunterlagen sollen so vermie-
den werden. Der Vorgang sei deutlich ef-
fizienter als beim klassischen Anzeigen
geschäft. Finanziert wird Housy mithilfe
eines Abo-Modells, bei dem der Vermie-
ter die Kosten trägt. Housy reagiert damit
auf den Marktwandel durch das Bestel-
lerprinzip bei der Maklercourtage. Durch
die Zusammenarbeit mit großen privaten
und kommunalen Bestandshaltern hat-
te Housy Ende letzten Jahres Zugriff auf
mehr als 250.000 Wohnungen in Berlin
und Brandenburg. Ziel ist es, sich auch
in weiteren Großstädten wie Hamburg,
München und Köln zu etablieren.
Der nächste Schritt sind
voll integrierte und auf
Künstlicher Intelligenz
basierende Lösungen
Schon sehr früh hat das 2014 ge-
gründete PropTech Immomio eine Ver-
mittlung über Matching-Algorithmus
angeboten. Ein Interessentenpool wird
mit den Faktoren durchsucht, die für die
Immomio-Kunden – Eigentümer, Makler,
Verwalter – zentral sind. Laut Mitgründer
Nicolas Jacobi geht es dabei um Faktoren,
die man nach dem Allgemeinen Gleich­
behandlungsgesetz erfragen darf, also
etwa Haushaltsgröße, Haushaltseinkom-
men, Beschäftigungsart oder obHaustiere
vorhanden sind. Nicht erlaubt sind Fragen
nachGeschlecht, ethnischerHerkunft, Re-
ligion, sexueller Orientierung und Ähn-
lichem, die zu Diskriminierung führen
können.
Immomio will auch mit Datenschutz
punkten und hat dafür kürzlich ein
Prüfsiegel vom GdW Bundesverband
deutscher Wohnungs- und Immobilien­
unternehmen erhalten. Immomio sei die
einzige Plattform, bei der die Interessen-
ten die Kontrolle über ihre Daten behal-
ten könnten, sagt Jacobi. Sie könnten zu
jeder Zeit die Daten einsehen und auch
löschen. Jacobi hält den heutigen Daten-
schutzstandard bei den üblichen Vermie-
tungsprozessen über Plattformen wie Im-
moscout24 für katastrophal. Hier laufe der
Datenaustausch völlig ungeschützt über
E-Mail, auch von hochsensiblen Daten
wie der Schufa-Auskunft. Sein Unterneh-
men will denDatenaustausch über E-Mail
komplett vermeiden und auf der eigenen
geschlossenen Plattform sicher gestalten.
Für die Zukunft sei etwa eine Schnittstelle
mit der Schufa geplant.
Künstliche Intelligenz bringt das
Software-Haus Fio Systems AG ins Spiel.
Das Matching-Tool für Makler und Woh-
nungsunternehmen soll bis Ende des
Jahres am Markt sein. Vorstand Nicolas
Schulmann hält sich in der laufenden
Entwicklungsphase noch bedeckt, kün-
digt aber eine voll integrierte KI-basierte
Lösung für Matching-Prozesse an. Für
Schulmann ist dies der nächste Entwick-
lungsschritt nach der Nutzung von Big
Data. Eingebunden werden soll dabei
eine Bedürfnisanalyse, die auch weiche
Faktoren erfasst, etwa durch Kinder ent-
stehende Notwendigkeiten.
Von den größten deutschen Woh-
nungsunternehmen nutzt die Deutsche
Wohnen keine Matching-Algorithmen.
Bei Vonovia könnte dies Teil einer län-
gerfristig angelegten Digitalisierungsstra-
tegie sein. Bewusst gegen die Nutzung von
Algorithmen entscheidet sich die SAGA
Unternehmensgruppe, einer der größten
deutschen Wohnungsvermieter. Presse-
sprecher Gunnar Gläser erklärt: „In die
Entscheidung zur Vermietung fließen im-
mer viele verschiedene Aspekte mit ein.
Neben wichtigen persönlichen Gründen
zählen dazu beispielsweise die sozialen
Belange des Kunden, eine Stabilisierung
der Nachbarschaftsstrukturen und der
Grundsatz der Wirtschaftlichkeit.“
Nachteil der Technik ist,
dass sie nicht über den
Tellerrand hinausblicken
kann – was nicht genau
passt, wird aussortiert
Der große Vorteil der Matching-
Algorithmen liegt in einer viel zielgerich-
teteren Kommunikation und damit Zeit-
und Kostenersparnis. Es besteht aber die
Gefahr einer Zementierung des Status
quo. Möglichkeiten, die nicht genau den
Suchkriterien entsprechen, aber trotz-
dem interessant sein könnten, werden
nicht wahrgenommen. Bei der Vermitt-
lung von Wohnimmobilien besteht die
Gefahr von Diskriminierung, etwa nach
ethnischer Herkunft, Geschlecht, gegen-
wärtiger finanzieller Ausstattung oder
ausgeübtem Beruf. Meike Zehlike, Infor-
matikerin an der Humboldt-Universität
Berlin, forscht zum Thema Fairness und
Diskriminierung in Suchalgorithmen. Sie
fordert gründliche Testläufemit repräsen-
tativen Datensätzen oder den Einsatz von
Fairness-Tools, damit Algorithmen keine
Stereotypen mitlernen und sogar noch
verstärken. Werden diese Instrumente
eingesetzt, hätten Algorithmen das Poten-
zial, Diskriminierung sogar zu umgehen.
Dem schließt sich der Ökonom Prof. Dr.
Gert G. Wagner, Mitglied der Deutschen
Akademie der Technikwissenschaften und
Mitglied im Sachverständigenrat für Ver-
braucherfragen, an und gibt zu bedenken:
„Algorithmen sind leichter zu überprüfen
als private Ansichten.“
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Dr. Kathrin Dräger, Freiburg
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