Immobilienwirtschaft 6/2019 - page 31

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6.2019
Wir besuchen das Gelände des Stavros Niarchos Foundati-
on Cultural Center, ein Kultur-, Studier- und Erholungszentrum
an der Bucht von Faliro. Auf einmal finden wir uns wieder in
sorgfältig gepflegten Anlagen mit handverlesenen Palmen und
uralten Feigen- und Olivenbäumen. In der Mitte steht ein blitz-
blank neues Gebäude von Renzo Piano, hoch aufragend mit ei-
ner Aussicht bis in den griechischen Götterhimmel. Alles hier
bildet einen fast schockierenden Kontrast zu der bis dahin er-
lebten Stadt. Hier stehen aufmerksame Ordnungskräfte in ihren
leuchtend gelben Westen, dort säen Arbeiter hingebungsvoll die
Rasenflächen neu ein oder präparieren die Bewässerungsanlagen
für die Sommersaison. Weltklasse-Gartenkunst und Architektur
auf höchstem Niveau.
Aber wie ist diese Meisterleistung zustande gekommen in
diesen Krisenjahren? Wer hat so ein Wunder und Zeichen der
Hoffnung vollbracht? Eine private Stiftung hat die halbe Milliarde
Euro gespendet. Und den Namen. Die Privatwirtschaft kann es
richten. Viel besser als der aufgeblähte, unfähige Staat. Könnteman
meinen. Aber sind nicht Stiftungen die, die keine Steuern zahlen?
Mit seinen damaligen Schwagern Onassis und Georgos Livanos,
die ebenfalls als Reeder tätig waren, zählte Stavros Niarchos zu den
reichstenMännern derWelt. Seine Schiffe ließ er unter Billigflagge
auf den Weltmeeren fahren, zahlte kaum Steuern, unterbot damit
die Konkurrenz und häufte sagenhaften Reichtum an.
Den großen Vorbildern folgen die Kleinen. Unsere grie-
chische Nachbarin erklärte uns voller Unverständnis für das
deutsche Steuersystem, dass inGriechenland kaum einer Steuern
zahlt. Ein System von gegenseitigen Quittungen führt zu aller-
lei fingierten Abschreibungen, die dann die individuelle Steu-
er gegen null senken. Hätte also Stavros Niarchos zu Lebzeiten
korrekt Steuern gezahlt, wäre der Staat in der Lage, die Biblio-
thek, die Oper und den schönen Garten selber zu bauen. Ohne
die vergiftete Spende der Foundation. Und das Cultural Center
hieße möglicherweise nach der ersten weiblichen Abgeordneten
im griechischen Parlament. Griechenland hat heute die höchste
Korruptionsrate in der EU. Wie soll sich der marode Staat sanie-
ren, wenn er sich auf seine Finanzbeamten nicht verlassen kann
und die Steuern nicht eintreibt?Wenn Baurecht nicht nach Recht,
sondern nach Übergabe eines „Fakelaki“, eines „Umschlägleins“
voller Geldscheine, entschieden wird? Die Erosion der Macht,
der Ordnung, des Gemeinwesens schreitet dann voran und die
Solidarität nimmt ab. Der Rückzug ins Private ist die Folge. Das
führt zu weiterer Schwächung der öffentlichen Institutionen und
des Gemeinwesens, des Staates.
Während unserer Fahrten durch die Stadt sehe ich keine
einzige aktive Baustelle. An vielen Stellen stehen unvollendete
Rohbauten, um die herum die Wildnis wuchert. Die Baustellen-
einrichtungen sind längst abgezogen. Der Verfall nimmt seinen
Lauf. Baustellen gibt es in Deutschland dagegen zuhauf. Aber der
arrogant schadenfreudige Blick auf die Griechen ist nicht berech-
tigt. Durch die niedrigen Zinsen befeuert, erlebt Deutschland
gerade einen unverdienten satten Bauboom. Hierzulande entwi-
ckeln sich die Kommunen, Städte und Gemeinden ganz prächtig.
Es werden massenweise Wohnungen gebaut und Bürogebäude
errichtet. Die niedrigen Zinsen sind in Deutschland für eine
halbwegs florierende Wirtschaft in gefestigten rechtsstaatlichen
Strukturen zu niedrig. Diese Rutsche ins Glück ist aber erst ent-
standen, weil hochverschuldete Staatenwie Griechenland, Italien,
Spanien, Portugal innerhalb der europäischen Gemeinschaft das
Zinsniveau gegen null drücken.
Ohne diese geschenkten Zinsen wäre die florierende Bau-
konjunktur schnell abgewürgt. Architekturbüros müssten sich
mit kleinen Aufträgen durchschlagen, Projektentwickler würden
Insolvenz anmelden und internationale Investoren würden wei-
terziehen. Zu sicher und stolz sollten die Deutschen also nicht
sein. Sie haben gerade etwas Glück. Mehr nicht. Und sollten un-
bedingt die Gunst der Stunde nutzen, um ihren maroden Laden
wieder aufzuräumen. Dazu könnte etwa die Verbesserung von
Gerechtigkeit und Solidarität innerhalb der Gesellschaft zählen;
auch die Umsetzung der Energiewende oder die Förderung des
Zusammenhalts in Europa sind alle Anstrengungen wert. Bevor
sich das Blatt wieder zu ihrenUngunstenwendet. Gute Städte sind
gerechte Städte.Wenn die Überzeugung, in einemgerechten, hilf-
reichen Staat zu leben, aber abhandenkommt, verliert das Land
seine Menschen. Und ohne die kann es kein gutes Gemeinwesen
und keine guten Städte geben.
Bitte keine Schadenfreude: Der satte Bauboom hier ist erst entstanden,
weil hochverschuldete Staaten wie Griechenland das Zinsniveau gegen
null drücken. Die Deutschen haben gerade etwas Glück. Mehr nicht.
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
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