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FINANZIERUNG, INVESTMENT & ENTWICKLUNG
I
KOLUMNE
Aber eine komplette Abschaffung der verbindlichenMindest-
und Höchstsätze für die Honorare kann ich mir auf meiner Eis-
scholle nicht vorstellen. Viel zu häufig hat die Berufung auf diesen
Schutzheiligen aller Architekten und Ingenieure unsere schüttere
Verhandlungsposition in Vertragsgesprächen gestärkt und uns
ein halbwegs auskömmliches Honorar beschert. Das soll nun der
Vergangenheit angehören? Mir kommen die Horden ausgehun-
gerter Eisbären in den Sinn, die in diesem Winter dabei gefilmt
wurden, wie sie in den Mülltonnen einer düsteren sibirischen
Kleinstadt am Rande des Polarkreises nach Essbarem wühlten.
Im Klageverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof hält
der Generalanwalt – eine Art Jeanne d’Arc für den entfesselten
Markt – die Verbindlichkeit der Mindest- und Höchstsätze der
HOAI für unvereinbar mit dem EU-Recht. Er empfiehlt, sie
komplett abzuschaffen und alle Planungsleistungen dem freien
Wettbewerb auszusetzen.
Der vermeintlich günstiger arbeitende Architekt aus den
Niederlanden (0,6 Architekten pro 1.000 Einwohner, keine ver-
bindliche Honorarordnung) oder der Stadtplaner aus Rumänien
(0,4 Architekten pro 1.000 Einwohner, keine verbindliche Ho-
norarordnung) soll seine Leistungen auch in Deutschland (1,3
Architekten pro 1.000 Einwohner, mit verbindlicher Honorar-
ordnung) billiger anbieten dürfen. Auch kleinere inländische
Architekturbüros mit niedrigeren Kosten sollen sich dadurch
Wettbewerbsvorteile verschaffen können, um sich am Markt zu
etablieren. So dieTheorie. Eine auf den ersten Blick einleuchten-
D
ieser Freitag war sonnig und warm. Einer der Nachmittage
in Berlin, an denen die Stadt noch etwas grüner, luftiger und
lässiger wirkte als in denTagen zuvor. Von der obersten Etage
des gerade fertiggestellten Rohbaus bot sich mir mit den anderen
Gästen des Richtfestes eine Breitband-Aussicht über die ganze
Stadt. ImOsten die Hochhäuser am Alex, imWesten die um den
Breitscheidplatz. Alles wirkte von hier geordnet und wohlgefügt.
Nach demRichtspruchwar die Stimmung bereits ausgelassen,
als sich ein Rechtsanwalt zu uns an den Tisch setzte. „Na, im
September ist es das ja wohl gewesen mit der HOAI!“, eröffnete
er offensiv das Gespräch. „Dann ist die Honorarordnung für Ar-
chitekten und Ingenieure Geschichte.“ Seine Schadenfreude traf
mich unvorbereitet. Wow, ich konnte physisch das Knacken und
Knallen hören, als das Eis unter meinen Füßen wegbrach. Ich
kam mir vor wie ein Eisbär, der auf einer einsamen Scholle aufs
offene Meer hinaus treibt. Mit einem Schlag war ich wieder in
der Realität angekommen.
Die Klage vor demEuropäischen Gerichtshof gegen die Bun-
desrepublik Deutschland wegen der Honorarordnung für Archi-
tekten und Ingenieure läuft bereits seit Jahren. Es geht um eine
Liberalisierung des Marktes, des Planermarktes.
Klar, die alte Tante HOAI sollte sowieso mal wieder an die
veränderten Bedingungen von hier und heute angepasst werden.
Große Veränderungen wie BIM oder die Phase Null werden von
ihr nicht richtig abgebildet. Und Honorare für größere Bauvor-
haben sind heute bereits frei verhandelbar.
Liberalisierung
Foto: Dirk Weiß