Immobilienwirtschaft 5/2018 - page 29

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5.2018
Lagerfeuer der globalen Gesellschaft. Um die gefühlte Wärme
und heimatliche Geborgenheit in einer als kühl empfundenen
Welt. Um die Sehnsucht nach Altbekanntem und Vertrautem.
Das ist mit historischen, nostalgischen und traditionellen For-
men und der Aura der Authentizität sofort erreichbar. Zeitge-
nössische Architektur braucht länger, um so inniglich geliebt
und verstanden zu werden. Zwei Tage später sitze ich in einer
Jury in Nürnberg. Mit dabei auch die Altstadtfreunde e.V. Sie
schauen der Stadtplanung immer wieder lautstark auf die Fin-
ger. 1996 haben sie den als „aufgeschnittene Bratwurst“ dis-
kreditierten Entwurf von Helmut Jahn per Volksentscheid zu
Fall gebracht. Ihr Vorsitzender fordert heute eine „ortsübliche
Gestaltung“ und einen „respektvollen Weiterbau“. Beim Gang
durch die Nürnberger Innenstadt ist kaum zu glauben, dass die
zu 90 Prozent zerstört war.
Auch in Nürnberg geht es um das Bedürfnis, stolz auf die
eigene Geschichte zu sein. Es geht umHeimat und um Identität in
Harmoniemit der Vergangenheit. Das war schonmal ganz anders.
Im gesamten 20. Jahrhundert wurde jede Wiederherstellung von
ganz oder teilweise zerstörten Bauwerken erbittert umkämpft. Die
Moderne schaute mit Verachtung auf die historischen Städte. Le
Corbusier schlug allen Ernstes den Totalabriss der Pariser Innen-
stadt vor. Die Reste des Stuttgarter Schlosses sollten gesprengt und
durch einen provinziellenMies-van-der-Rohe-Verschnitt ersetzt
werden, bevor es dann doch wieder aufgebaut wurde.
Die epochale Wende war die Wiederentdeckung des Stadt-
grundrisses, der von denUrbanisten imGefolge von Le Corbusier
nie ernst genommen worden war. Diese Wiederentdeckung ist
mit Josef Paul Kleihus und der Internationalen Bauausstellung
(IBA) Berlin 1984/1987 verbunden. Klaus Humpert hatte be-
reits in den 1960er Jahren mit seiner Konviktstraße in Freiburg
Bahnbrechendes geleistet. Da sollten zunächst die baufälligen
Häuschen abgerissen und ein Parkhaus gebaut werden. Doch
es kam anders und auf den historischen Parzellen wurden un-
ter Einbeziehung der zerstörten Substanz neue, dreigeschossige
Steildachhäuser errichtet. Keine bedeutende Architektur im
Einzelnen, aber als Ganzes ein einflussreiches Vorbild. In Berlin
klotzt gerade die Bundesrepublik das Preußenschloss wieder auf
die Museumsinsel. Vom Förderverein Berliner Schloss wurden
bereits 80Millionen Euro Spenden gesammelt (zusätzlich zu den
500Millionen vomBund). Sie arbeiten daran, die historischeMit-
te zu vervollständigen und das Stadtbild zu historisieren. Der
Wiederaufbau soll Berlin wieder zum geliebten Spree-Athenma-
chen. Die Altstadt soll folgen. Reenactment nennt man die Neu-
inszenierung konkreter geschichtlicher Ereignisse in möglichst
authentischer Weise. Meistens geht es um die Nachstellung von
Schlachten der großen Kriege.
Geschichte, die in denHänden von Regisseuren liegt, wird zur
Mixtur aus „Gefundenem und Erfundenem“. So werden falsche
Geschichtsbilder vermittelt, die in der Regel einem modischen,
intellektuellen oder politischen Zeitgeist entsprechen. Ich störe
mich nicht am Aufgreifen der historischen Parzellenstruktur.
Ich habe auch nichts gegen eine dementsprechend kleinteilige
Stadtplanung. Schon gar nicht in den Zentren, auf historischem
Boden. Ich halte es auch für schlüssig, gewachseneWegesysteme,
die sich über hunderte von Jahren entwickelt haben, weiterhin
zu nutzen. Ich zweifle aber an einer nostalgischen Strategie, die
auf historische Formen und einen heute unzulänglichen, vormo-
dernen Städtebau zurückgreift. Und damit mit Bildern operiert,
die unsere eigene verklärte Sichtweise auf die Vergangenheit wi-
derspiegeln. Eine Neubau-Altstadt hier oder ein Wiederaufbau-
Schloss da sind für eine Gesellschaft kein Problem. Vielleicht
tragen sie auch zur Identifikation einiger Bürger mit ihrer Stadt
bei. Vielleicht überbrücken sie Gräben zwischen denen in den
Bankentürmen und jenen in den Straßen. Vielleicht ist das eine
Art Populismus, ein Trachtenaufzug mit Heimatdichter.
Es wird ja an anderen Stellen viel und auch hin und wieder in
guter Qualität zeitgenössisch gebaut. Aber es macht mir Sorgen,
wenn an den zentralen, bedeutenden Orten der Gesellschaft die
Vorstellungen von Tradition und Nostalgie Vorrang erhalten vor
der Neugierde auf das, was kommt. Und es kommt so viel. Mit
Wucht. Unaufschiebbar.
Reenactment bedeutet Neuinszenierung geschichtlicher Ereignisse. Die
neue Bebauung der Frankfurter Altstadt ist nichts anderes. Sie kommt
gut an. Ich aber zweifle an einer nostalgischen Strategie, die auf einen
heute unzulänglichen, vormodernen Städtebau zurückgreift.
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 mit Helge Schmidt gemeinsam das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
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