Immobilienwirtschaft 4/2018 - page 29

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ßend entzogman der Stadtentwicklungsverwaltung (Kompetenz-
streitigkeitenmit derWirtschaftsverwaltung) die Verantwortung.
Jetzt ruht die Zukunft der Smart City Berlin in der Senatskanz-
lei beim Regierenden Bürgermeister. Die Zuständigkeiten sind
„nicht so klar definiert“ und verteilen sich auf drei verschiedene
Ressorts. Ein Beteiligungsprozess mit Wirtschaft, Wissenschaft,
Forschung und Zivilgesellschaft ist nicht geplant.
Mittlerweile ist das Papier auch veraltet und müsste neu ge-
schriebenwerden. Es hielt einem internationalenVergleich ohne-
hin nicht stand, blieb schon 2016 in der Smart-City-Studie über
87 Städte von Roland Berger freundlicherweise unerwähnt („in
der hinteren Hälfte des Feldes“).
Mit einem Mikrobudget, ohne klare Zuständigkeiten und
Schlagkraft ist auch kaum mehr zu erwarten.
Düsseldorf hat es gerade vorgemacht und einen CDO, einen
Chief Digital Officer, eingesetzt. Wie Wien, Chicago, Singapur.
Eine solche Position könnte auch in Berlin die diversen Ressorts
unter einemDach zusammenbringen, koordinieren und gegebe-
nenfalls auch durchgreifen.
Doch wie so häufig in dieser Ankündigungsweltmeisterstadt
fehlt es leider an ... so vielem. Nur reden reicht eben nicht. Das
ist umso bedauerlicher, wenn man sich die Voraussetzungen
dieser unfertigen Kreativmetropole anschaut. Berlin bietet mit
den vielen Forschungseinrichtungen, innovativen Informations-
und Kommunikationstechnik-Unternehmen und der lebendigen
Tech-Start-up-Szene einen fruchtbaren Nährboden für eine
Smart City. Jährlich 45.000 zusätzliche Einwohner, 13 Millionen
Besucher, immer mehr internationale Studenten, 40.000 Unter-
nehmensgründungen, in keine andere europäische Stadt fließt
mehr Venture Capital.
Diese Potenziale einer Smart City Berlin zu heben und kluge,
vernetzte Lösungen in der Verwaltung, im Verkehr, der Infra-
struktur, in Energie- und Mobilitätsfragen, bei öffentlichen Bau-
ten, im Bildungs- und Gesundheitswesen zu entwickeln, ist auch
in Berlin, dieser Stadt am Rande der Tragödie, nicht unmöglich.
SMARTE QUARTIERE
Die landeseigenen Wohnungsbaugesell-
schaften investieren zurzeit Milliarden in neue Quartiere. Aus
demSondervermögen „Infrastruktur der wachsenden Stadt“ ste-
hen für Schulen, Kitas, Polizei, Feuerwehr, Krankenhäuser und
Schwimmbäder ebenfalls Millionen bereit. Von smarten Investi-
tionen redet hier aber keiner. Warumkönnen diese Projekte nicht
gleich zukunftsfähig ausgerichtet werden?
Was wäre, wenn Berlin neue Vorzeigequartiere planen und
verwirklichen würde? Wenn die Kommune mit Bürgern und
Unternehmen imDialog smarte Modellvorhaben starten würde,
Maßnahmenpakete schnüren und dabei Wirtschaft, Start-ups,
BVG, BSR, Versorger sowie Bürger („Wie werden wir smart?“)
einbinden würde? Smart-City-Pilot-Quartiere könnten leicht
durch experimentierfreudigere Bebauungspläne unterstützt
werden.
Berlin hat Europas modernste Verkehrsinfozentrale, ist eine
Leitregion für Elektromobilität und Hauptstadt des Carsharing
(vielen Dank, Bundesrepublik). In diesen Modellquartieren
könnten z. B. autonomes Fahren im Stadtraum und Parkplatz-
belegungserkennung erprobt und weiterentwickelt werden.
Die städtischen Wohnungsunternehmen könnten Vorreiter
für Smart-Home-Lösungen sein und dabei mit Technikanbietern,
Gesundheitsdienstleistern und Ärzten zusammenarbeiten. In
einem Smart-Health-Modellquartier könnten telemedizinische
Anwendungen in der Praxis erprobt und weiterentwickelt wer-
den. Ich mache mir Sorgen. Weil all das nicht geschieht.
Wir befinden uns im Übergang in eine andere, eine digitale
Welt. Das wird alles verändern. Wie wir leben, arbeiten, bauen,
uns abstimmen und entscheiden, wird sich von unten nach oben
wenden. Sich dem zu verweigern, die Veränderungen zu ignorie-
ren, funktioniert für eine bereits so vernetzte Gesellschaft nicht.
Wir müssen lernen, müssen überprüfen, erproben und heraus-
finden, welche Innovationen die Lebendigkeit und Kreativität,
die Vielfalt und den Reichtum unterschiedlicher Lebensvorstel-
lungen unterstützen und welche dagegenarbeiten.
Was, wenn Berlin neue Vorzeigequartiere verwirklichen würde?
Städtische Wohnungsunternehmen könnten Vorreiter für Smart-Home-
Lösungen sein, mit Technikanbietern und Ärzten zusammenarbeiten ...
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ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
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