Immobilienwirtschaft 3/2018 - page 23

GELUNGENER COUP ODER SEITENWECHSEL AUS VERZWEIFLUNG?
Einige Branchenakteure bewerten den Schritt entweder skep-
tisch als „verräterischen Seitenwechsel aus Verzweiflung“ oder
als „gelungenen Coup“. Crowdinvesting-Plattformen konzen-
trieren sich bislang zwar auf die Einwerbung von nachrangig
besicherten Mezzanine-Darlehen, die lediglich einen kleinen
Teil des Gesamtfinanzierungspakets bei Immobilienvorhaben
ausmachen. Projektentwickler können Mezzanine-Darlehen bi-
lanztechnisch als Eigenkapital verbuchen. Dadurch senken sie
die Zinskosten für den vorrangig besicherten Hypothekenkredit
einer Bank, die den Großteil des Finanzierungsvolumens stellt.
Allerdings gibt es bei einigen Finanzinstituten Befürchtungen,
dass Crowdinvesting-Plattformen künftig auch großvolumig Ka-
pital bei Pensionskassen und FamilyOffices einsammeln könnten,
um damit Immobilienprojekte und Transaktionen bestehender
Objekte komplett zu finanzieren. „Banken könnten dann im
schlimmsten Fall auf den Plattformen nur noch mitbieten“, sagt
bulwiengesa-Vorstand Schulten. „Und würden so den direkten
Kundenkontakt verlieren.“
Hingegen präsentieren sich die Plattformbetreiber als Ret-
ter von Projektentwicklern und Banken. Dr. Thomas Schnei-
der, CIO von Brickvest, spricht von einer „Transformation der
Immobilienfinanzierung und des Bankgeschäfts“. Michael von
Gruenewaldt, CFO der von der Hamburger Civum betriebenen
Plattform Zinsland, sagt: „Vor zehn Jahren hätte es uns nicht
gegeben.“ Damals seien Bauvorhaben zu 90 Prozent von Banken
finanziert worden. „Nach der Finanzkrise aber sind die notwen-
digen Eigenkapitalquoten der Banken so gestiegen, dass mittler-
weile 20 bis 30 Prozent des Kapitals, je nach Risikoprofil, selbst
finanziert werden müssen“, sagt Gruenewaldt. Hier kämen die
Plattformen mit den von ihnen akquirierten Nachrangdarlehen
ins Spiel. Helaba-Analyst Mitropoulos sieht die Banken durch
die Plattformen nicht in Gefahr. Seit Beginn des IT-Zeitalters
sei der Branche immer wieder das baldige Ende prophezeit wor-
den. Aber: „Banken gibt es immer noch und wird es auch in
Zukunft geben“, sagt Mitropoulos. Allein schon, weil FinTechs
nicht in der Lage seien, Kreditrisiken auch nur annähernd zu
evaluieren, wie die zahlreichen Pleiten von Start-ups zeigen, die
auf Crowdfunding-Plattformen Anlegerkapital gesucht haben.
Experten sehen das Kernproblem bei der Digitalisierung der
Immobilienwirtschaft ohnehin nicht nur darin, dass neue Akteure
alteingesessenenMarktplayern denGarausmachen könnten. Ent-
scheidend sei vielmehr, dass sich Anlagegesellschaften, Banken
und Bestandhalter nicht auf einen einheitlichen digitalen Stan-
dard verständigt haben. „Bislang sprechen die vielen Systeme in
der Branche nicht dieselbe Sprache“, sagt gif-Vorstand Beyerle.
In Deutschland hat die gif zwar 2016 einen einheitlichen Daten-
standard erarbeitet, der mit der Architrave-Software kompatibel
ist. Doch „die Vorgaben sind nicht verbindlich für die Immobi-
lienbranche“, sagt Beyerle. Zudem stimmen sie auch nicht mit
dem in Frankreich erstellten Oscar-Standard und dem von den
Immobiliengesellschaften in den Benelux-Staaten erarbeiteten
Fiji-Standard überein. „Wir sind dabei, Schnittstellen zu entwi-
ckeln“, sagt Beyerle.
Vielleicht würden aber dieMöglichkeiten der Digitalisierung
überschätzt, sagt bulwiengesa-Vorstand Schulten. „Valide volks-
wirtschaftliche Prognosen zur Entwicklung des Arbeitsmarktes
und damit dem künftigen Bedarf an Büro- oder Einzelhandels-
flächen lassen sich digital nicht generieren.“ Deshalb seien Inves­
toren und Banken bei Entscheidungen über Immobilienkäufe
und Kredite „letztendlich in jedemEinzelfall auf ihre langjährige
Erfahrung und Klugheit angewiesen“, sagt Schulten. Was salopp
als „Bauchgefühl“ beschrieben werde, könne „kein Computer
ersetzen“.
23
0
3.2018
«
Richard Haimann, Neu Wulmstorf
„Noch sehen wir nur
Insellösungen und keine
Strategie aus einem Guss.“
Dominik Löber,
Roland-Berger-Partner
„Die Digitalisierung ist
immer noch nicht operativ
bei der institutionellen
Immobilienwirtschaft
angekommen.“
Oliver Strumpf,
FondsForum-Mitgründer
„[...] Im schlimmsten Fall
könnten Banken auf den
Start-up-Plattformen nur
noch mitbieten.“
Andreas Schulten,
bulwiengesa-Vorstand
„Welche Dienstleistungen
fragen unsere Kunden
heute nach? Welche wer-
den sie künftig nachfra-
gen? Und welche Kanäle
nutzen sie? An diesen
Fragen orientieren wir
unsere Strategie.“
Andreas Muschter,
Vorstandschef, Commerz Real
1...,13,14,15,16,17,18,19,20,21,22 24,25,26,27,28,29,30,31,32,33,...76
Powered by FlippingBook