IMMOBILIENWIRTSCHAFT 6/2017 - page 35

35
0
6.2017
sonne wird der Deutsche Pavillon von Sigmar Gabriel eröffnet.
Die grandiose Kuratorin Susanne Pfeffer hat die Künstlerin
Anne Imhof ausgewählt. Sie stellt einen Mies-van-der-Rohe-
Glaspavillon und zwei Zwinger mit Dobermännern vor das an
den Faschismus erinnernde Gebäude. Ein Glasboden durchzieht
das Haus im Inneren. Darsteller bewegen sich ziemlich autistisch
zu dröhnenden Klangkompositionen durch die handyblitzenden
Zuschauer, kriechen unter dem Glasboden, hängen an Gurten
von der Wand, balancieren auf dem Dach. Sex, Gewalt, Macht,
Aggression, alles dabei.
Die Arbeit ist vielfältig interpretierbar und verbindetMalerei,
Musik, Theater und Architektur miteinander. Diese Art von Ge-
samtkunstwerk begeistert mich. Wenn auch von einer Künstlerin
kühl und kontrolliert umgesetzt, in deren Welt ich nicht leben
möchte. Als „kraftvolles und verstörendes“ Werk beschreibt es
später die Jury und zeichnet den Pavillon mit dem Goldenen
Löwen als besten aus.
Sigmar Gabriel sagt bei der Eröffnung vorsichtig, die Arbeit
leuchte „gesellschaftliche Räume, ihre Kraft- und Machtzentren“
aus. Es wird deutlich, dass es für ihn als Politiker wie für viele
andere nicht einfach ist, zeitgenössische Kunst zu verstehen, das
Gesehene zu interpretieren und für sich als Inspiration zu nutzen.
Auch die Immobilienwirtschaft ist an der wichtigsten Kunstaus-
stellung der Welt kaum interessiert. Ich sehe keine Architekten,
keine Makler, keine Projektentwickler und keine Immobilien
investoren in den Giardini oder im Arsenale.
AmAbend treffe ich die Geschäftsleitung des dänischen Un-
ternehmens Kvadrat. Ihre Stoffe gehören weltweit zu den besten.
Das Unternehmen hat einen Riesenruf, will immer noch besser
werden. Alle Mitarbeiter sind angehalten, mindestens zweimal
im Jahr eine Ausstellung anzuschauen. Sichmit ungewöhnlichen
Perspektiven und Formen zu beschäftigen, Fragen zu stellen, den
Blick auf das Andere und Fremde zu richten, Widersprüchliches
auszuhalten und nach Antworten zu suchen, beweglicher zu
werden. Das gefällt mir! Ein wundervolles Gesamtkunstwerk
befindet sich zurzeit außerhalb der Biennale neben der Rialto-
brücke in der Fondazione Prada. Thomas Demand als Künstler
und Alexander Kluge als Filmemacher zeigen ihre Arbeiten in
recycelten Bühnenbildern der Theaterszenografin Anne Vie­
brock. Die drei wurden von demKurator Udo Kittelmann zu „The
Boat is Leaking.The Captain Lied“ zusammengebracht. Jeder der
Künstler könnte einzeln stehen und doch ergänzen sich alle zu
einer besseren, großartigen Ausstellung. Gerade weil eben nicht
nur die Fotografien von Thomas Demand an einer möglichst
neutralen Wand hängen oder die Filme von Alexander Kluge in
einem verdunkelten Vorführraum laufen, sondern weil diese Ar-
beiten durch die Bühnenbilder von Anna Viebrock zu einem viel
größeren Ganzen verbunden werden. Diese Arbeit macht mich
glücklich. Sie verkörpert genau mein Ideal. Von dieser Arbeit
könnte die Immobilienbranche lernen.
ALS STUDENT
begeisterte ich mich für barocke Architektur. Zu
der Zeit haben Architekten, Bildhauer, Maler und Stuckateure
an einem großen Ganzen zusammen gearbeitet. Dabei kamen
Gesamtkunstwerke heraus, die ihresgleichen suchen. Auch das
Bauhaus hat die Zusammenarbeit von Malern, Bildhauern und
Architekten gelehrt. Doch heute droht sogar das Wissen von­
einander verloren zu gehen. Die Tätigkeitsbereiche driften immer
weiter auseinander. Wie viele Architekten beschäftigen sich heute
mit bildender Kunst oder wie viele Künstler mit Architektur?
Wie viele Projektentwickler sind beimGalleryWeekend in Berlin
unterwegs?WelcherMakler ist schon in der Julia Stoschek Collec-
tion in der Leipziger Straße in Berlin gewesen?Wer geht ab und zu
in die KW – Institut für Contemporary Art in der Auguststraße?
Kunst kann mit ihrer enormen Sensibilität und Intellektua-
lität den eigenen Blick auf die Welt erweitern. Sich offen halten
für fremde Anliegen, Lust haben, sich mit den Themen Ande-
rer auseinanderzusetzen, hält wach und neugierig. Ich liebe den
künstlerischen Blick auf die Welt und bin mir sicher, dass eine
stärkere Verbindung zwischen Kunst, Architektur und der Im-
mobilienwirtschaft zu besserenHäusern, Quartieren und Städten
führen wird.
„Sich mit ungewöhnlichen Perspektiven und Formen beschäftigen.
Fragen stellen. Den Blick auf das Fremde richten. Widersprüchliches aus-
halten. Nach Antworten suchen. Beweglicher werden. Das gefällt mir!“
«
ZUR PERSON
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
1...,25,26,27,28,29,30,31,32,33,34 36,37,38,39,40,41,42,43,44,45,...76
Powered by FlippingBook