IMMOBILIENWIRTSCHAFT 12/2016 01/2017 - page 58

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TECHNOLOGIE, IT & ENERGIE
I
PODIUMSDISKUSSION
hat daraufhin mehr Umsatz gemacht, und sie
haben sich gefreut.
Wir haben Leute eingestellt, die wissen,
wie Google und Digital Marketing funktio-
niert. Auch im Bereich Datenmanagement
haben wir viele Leute eingestellt. Hier sind
wir von zwei auf 20 Mitarbeiter gewachsen.
Das ist eine steile Wachstumskurve.
Du brauchst Rückhalt. Und du brauchst
Geld, denn die Sache ist nicht billig. Deswe-
gen ist es ja auch so wichtig, das „Warum“ zu
beantworten.
Früher hat die IT gesagt, was möglich ist,
was nötig ist. Sie haben ein CRM-System ins­
talliert, das keiner genutzt hat.
Wir haben seit einiger Zeit einen Chief
Technology Officer im Unternehmen, der ist
Informatiker. Er hat uns Fragen gestellt, die
wir vorher nie gestellt bekommen haben. Ich
musstemich bemühen, nicht reflexhaft zu ant-
worten: „Das macht man halt so.“ Wir haben
uns sozusagen denHelikopter ins Haus geholt.
Daten in die Cloud – wie sicher ist das denn?
Das Thema „Cloud“ wird natürlich immer interessanter. Unsere
Kunden, kleine undmittelständische Unternehmen, haben keine
eigenen Datenspeicher-möglichkeiten oder verzichten auf sie.
Es gibt hier kein Sicherheitsthema. Meistens kann die Cloud
die Sicherheit besser garantieren als ein einzelnes Unternehmen
mit eigenen Serverräumen. Dort muss der Geschäftsführer Ent-
scheidungen treffen, die er gar nicht beurteilen kann.
Als die Webereien von Dampfmaschinen auf Strom umge-
stellt haben, hatten sie auch Angst vor der Abhängigkeit von
Elektrizitätswerken. Ich glaube, dass die Situation, die wir heute
vorfinden, sehr mit der der Webereien vergleichbar ist. Was die
Sicherheit angeht, so sind fast alle Cloud-Systeme sicherer als der
eigene Server, der ja auch irgendwohin vernetzt ist.
Brauchen wir neue Berufe?
Die Berufsbilder sind an sich nicht neu. Das sind Mathematiker,
Statistiker, Physiker, nur haben sie nicht in der Immobilienbran-
che gearbeitet. Wir brauchen Datenanalysten, die die Gebäude-
technik verstehen. Unsere Kinder, die gerade Geodaten auslesen
beim Pokemon-Spiel, sind an das Auslösen von Daten schon so
gewöhnt, dass es ihnen einen großen Vorteil gibt. Das müssen
die gar nicht mehr studieren.
Wie sieht der Blick über den Tellerrand aus?
Beim systematischen Ansatz, sich am Bedarf der Nutzer zu
orientieren, ist die Immobilienbranche nicht weit von anderen
Themenfeldern entfernt. Was die Aktivität von Start-ups angeht,
liegen wir mit anderen Industrien durchaus
gleichauf.
Die Amerikaner sind einfach risikoberei-
ter. Wenn es ihnen heute gut geht, denken Sie
auch an übermorgen, wo es Ihnen vielleicht
nicht so gut geht. Doch unsere europäische
Mentalität ist, dass wir so lange warten, bis der
Druck so groß ist, dass das Unternehmen mit
dem Rücken an der Wand steht. Dann kön-
nen wir uns bildlich vorstellen, dass hier keine
richtigen Investitionen mehr möglich sind.
Veränderungswille muss von oben kom-
men. Wenn er von oben nicht kommt, wird es
keine Veränderungen geben.
In Holland kann jeder Mieter selbstbe-
stimmt sagen, dass er nicht getrackt werden
will von den Sensoren in der Decke, dass er
morgens nicht mit Namen begrüßt werden
will und nicht möchte, dass die Schranke au-
tomatisch hochgeht, aber wenn Sie dem zu-
stimmen, dann ist das alles möglich. Es geht
nur um die Interaktion zwischen Nutzer und
Haus. Wenn Sie sich auf Datenschutzbelan-
ge zurückziehen, nutzen Sie die Power Ihres
Hauses natürlich nicht …
Gibt es ein Fazit nach einem solchen Change-Prozess
im Unternehmen?
Wir müssen nicht alles von vorne bis hinten durchdeklinieren,
weil ich dann viel flexibler bin im Ablauf. Wir haben Leute ein-
gestellt, auch die niemals bei JLL hätten arbeiten wollen. Die
brauchen auch keine Krawatte zu tragen. Unsere Abteilung ist
innerhalb unseres Unternehmens ein Start-up.
Viele alteingesessene Unternehmen täten gut daran, einmal
bei Start-ups in die Lehre zu gehen. Hier geht es nicht nur umFeh-
lerkultur, sondern auch um die Art des Lernens. Die Geschichte
zeigt, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass große etablierte
Unternehmen neue Lösungen von innen heraus entwickeln. Wir
müssen lernen, was das „Warum“ angeht.
Es geht auch um die Bereitschaft zur Kannibalisierung. Wir
müssen dieMenschen in die Cloud ziehen. Wenn sich ein Unter-
nehmen dafür entscheidet, und Kunden wollen das nicht, dann
muss ein Unternehmen früher oder später Abschied nehmen
von diesem Kunden.
Es gibt viele Insellösungen. DasThema OpenImmo vermisse
ich. Besitzstandswahrung erscheint mir als sehr stark. Experi-
mentierfreudigkeit wäre wichtig. Wir haben von 70 Leuten fast
zehn Prozent, die den Markt beobachten und darstellen, was
draußen los ist. Und das in unsere neuen Produkte einbauen.
«
Aufgeschrieben von Dirk Labusch, Freiburg
„Unternehmenslenker
verstehen oft nicht, dass
das Risiko nicht im Wan-
del liegt, sondern darin,
sich nicht zu verändern.“
Peter Russo,
ebs
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