Immobilienwirtschaft 7/2015 - page 31

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noch Besseren inGang. Das sorgt dafür, dass Vorhandenes immer
wieder in Frage gestellt wird und in Prozessen schöpferischer Zer-
störung Innovationen umgesetzt werden. Wie imKinderzimmer.
Erst zerstören und dann noch besser wieder aufbauen.
In elitären Strukturen gibt es hingegen weniger Anreize für
Innovationen. Diejenigen, die am Drücker sind, tendieren dazu,
diese schöpferische Zerstörung als Veränderung des Status quo zu
fürchten. Wer will schon gerne als Teil der Elite mit neuen Ideen
und erstarkenden Konkurrenten um Macht und wirtschaftliche
Ressourcen wetteifern, wenn er nicht muss? Aber vergleichen
Sie selbst. In der vergangenen Woche habe ich zwei Veranstal-
tungen besucht, die nahezu gleichzeitig in Berlin stattfanden:
Der Zentrale Immobilienausschuss ZIA ist ein 2006 gegründeter
Wirtschaftsverband. Er vertritt mittlerweile über 200 Unterneh-
men der Immobilien- und Finanzwelt und über 20 Verbände mit
37.000 Mitgliedern.
Auf dem vom ZIA veranstalteten „Tag der Immobilienwirt-
schaft“ kommen in Berlin amWesthafen 1.000 Manager zusam-
men. Ein starker Ort, direkt im Hafen. Das Motto: „Innovativ,
lebenswert, bezahlbar –Wie bauen wir morgen?“ Klingt vertrau-
ensvoll optimistisch. Am Eingang haut eine blitzblinke Einau-
toelektroluxuswagenausstellung eines Sponsors gleich mal den
Anspruch der Topentscheider auf den Tisch. Entlang des Tages
übergeben Toprepräsentanten freundliche Grußworte. Schon die
Anwesenheit zählt. Bundesministerin, EU-Kommissar, Parteivor-
sitzender, Fraktionsvorsitzender, TV-Moderatorin, Präsidenten,
Vorstände, Direktoren, Geschäftsführer. Wir sind super! Es geht
unter anderem um „Trends entzaubern, CFOs verzaubern“, „Un-
sere Städte: lebenswert und bezahlbar statt reguliert und büro-
kratisch“, anschließend „Networking Night mit Berliner Buffet“.
Ein Zukunftsberater führt vor, wie Passanten durch Augmen-
ted Reality von heranstürmenden Tigern zu Tode erschreckt wer-
den. Ganz wie bei dieser – wie heißt sie noch? – Fernsehshow.
So toll wird‘s werden in der Immobilienspaßparade der Zukunft!
Die Bundesbauministerin hofftbeimEinzelhandel in Zukunft auf
mehr Tante-Emma-Läden und bekommt von ihren Gastgebern
eine gelbe Wasserwaage geschenkt. Vielen Dank, wir sehen uns!
Der Bund Deutscher Architekten ist Mitglied im ZIA, soweit
ich weiß, aber kein einziger Architekt oder Stadtplaner ist ge-
kommen. Jahresbeitrag: 15.000 Euro. Ein exklusiver Club erfah-
rener Männer als Vertreter ihrer Interessen. Dicht dran an der
Regierung. Unter anderem ist der ZIA Gründungsmitglied der
ständigen Projektgruppe der Bundesregierung zum „Bau von
Großprojekten“. Und eine Innovationsschmiede mit Innovati-
onsbeauftragtem gibt es auch. Während der Kaffeepause gibt‘s
Präsentationen im EG. Toi, toi, toi!
Zugleich findet kaum 20 Minuten entfernt das erste Festival
für Architektur & Andersmachen „Make City“ statt. Die Eröff-
nung ist in der ehemals sozialistischen Tschechischen Botschaft,
heute ein morbider Möglichkeitsraum. An 85 Orten verhandeln
über 100 Veranstaltungen über 14 Tage urbane Ressourcen. Es
geht um Smart Parks, Zukunftsstädte als Empathiemaschinen,
Crowdfunding, urbanen Wandel, Möglichkeitsräume, Guerilla
Gardening, Gemeinschaftsgärten, Affordable Living, Designing
the Urban Commons, Pre-Fab revisited, Self Made City, neue
Formen des Zusammenwohnens und -arbeitens, partizipative
Stadtentwicklung, Baulücken, Flussbäder, Liegenschaftspolitik,
Speisekinos, städtische Gemeingüter, Top-down oder Bottom-
up? Online-Partizipation u.v.m. – in alle Richtungen offen.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat kurz-
fristig die Unterstützung zugesagt. Francesca Ferguson hat die
Idee über Monate mit Klugheit und Willenskraft verfolgt und
viele zum Mitmachen begeistert. Es gibt für „Einsteiger und er-
fahrene Stadtgestalter eine Fülle von Gelegenheiten, sich einzu-
mischen und mitzumachen“.
ZIA und Make City wissen nichts voneinander. Trotzdem
gibt es viele gemeinsame Interessen. Was könnte alles gesche-
hen, wenn sich Neugier, Enthusiasmus und Innovationskraft mit
der Macht und dem Zugang zu wirtschaftlichen und finanziellen
Ressourcen verbänden? Der Weg zu Innovation und Fortschritt
führt nicht über Exklusivität, sondern über eine größere Auf-
geschlossenheit gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen.
Wer öffnet die Fensterläden, wer baut die Brücken, wer stürmt
die Burg und wer räumt auf?
Zugang zu Ressourcen (ZIA) und Enthusiasmus (Make City) treffen sich
nicht. Dabei müssen die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen von-
einander wissen. Wer öffnet die Fensterläden, wer baut die Brücken?
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zur person
Eike Becker
leitet seit Dezember 1999 zusammen mit Helge Schmidt das Büro Eike Becker_Architekten in Berlin.
Internationale Projekte und Preise bestätigen seitdem den Rang unter den erfolgreichen Architekturbüros in Europa. Eike Becker_Architekten arbeiten
an den Schnittstellen von Architektur und Stadtplanung mit innovativen Materialien und sozialer Verantwortung.
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