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6|2019
Sie haben vor einigen Jahren bereits ein Leit-
bild für Ihr Unternehmen formuliert. Warum
war es jetzt an der Zeit für eine neue Version?
Das soziale und wirtschaftliche Wertesystem in
unserer Genossenschaft ist zwar imWesentlichen
gleichgeblieben, durch die Einflüsse der Digita-
lisierung haben sich jedoch interne und externe
Kommunikation, sowie Prozesse und interne Ab-
lauforganisation stark verändert. Mitarbeiter, die
bei der Erarbeitung des alten Leitbilds noch nicht
imUnternehmenwaren, kennen u.U. die dahinter-
stehenden Beweggründe, Argumente und Über-
legungen zu wenig. Um effiziente Strukturen im
Unternehmen steuern zu können, bedarf es neben
eindeutigen Anweisungen aber auch Leitlinien,
an denen sich alle im und um das Unternehmen
orientieren können. Das gilt gleichermaßen für
Mitarbeiter und Stakeholder. Gleichzeitig ist der
Prozess zur Schaffung oder Überarbeitung eines
bestehenden Leitbilds wichtig, damit die gegen-
seitigen Ansprüche, Erwartungen und Wünsche
diskutiert und beraten werden. Idealerweise
werden dazu möglichst Mitarbeiter aus allen
Unternehmensbereichen bei der Entwicklung
des Leitbilds gehört. Die neuen und geänderten
Ergebnisse haben gezeigt, wie wichtig die Erar-
beitung eines gemeinsamen und nicht von oben
herab formulierten Leitbilds sein kann.
Wie unterschied sich der aktuelle vomvergan-
genen Leitbildprozess?
Im Großen und Ganzen sind – wie gesagt – die
Rahmenbedingungen und Grundsätze, die un-
sere Arbeit beeinflussen, gleichgeblieben. Hinzu
gekommen sind vor allemDetails, die sich zwangs-
läufig aus einemmoderneren Arbeiten, beeinflusst
durch die Automatisierung und Digitalisierung von
Arbeitsprozessen und Abläufen, ergeben haben.
Trotz einer verstärkt digital stattfindenden Kom-
munikation bei den Aufgaben des Tagesgeschäfts
habenwir dieWichtigkeit der verstärkten persön-
lichen Kommunikation untereinander undmit den
Mietern erkannt. Insgesamt hat das „Wir“ einen
höheren Stellenwert erhalten und wir sehen das
Engagement, Bildung und Qualifikation der Mitar-
beiter als unsere wesentlichste Stärke. Insgesamt
sind Sachwerte wie der Immobilienbestand, un-
ser Bürogebäude und die technische Ausstattung
gegenüber sozialen und persönlichen Aspekten
weniger wesentlich.
Was sind für Sie die Erfolgskriterien für einen
solchen unternehmensweiten Prozess? Was
muss beachtet werden?
Natürlich ist es abhängig von der Unternehmens-
größe ob, wie in unseremFalle, grundsätzlich alle
Mitarbeiter, d.h. auch diejenigen aus dem Regie-
betrieb, Reinigungskräfte, Hausmeister etc., mit
in den Prozess einbezogen werden können. Wir
suchen jedoch eine möglichst breite Basis für die
grundlegenden Überlegungen. InweiterenWork-
shops und Arbeitsgruppen können dann jeweils
einzelneMitarbeiter als Sprecher ausgewählt oder
von den Kollegen als deren Vertreter gewählt wer-
den. Positiv überrascht hat, dass gerade Kollegen,
von denenman es zunächst weniger erwartet, die
Veranstaltungen nutzen und aktiv ihre Überlegun-
gen und Standpunkte formulieren. Das löst inte-
ressante Debatten und Diskussionen aus und ist
letztlich das Salz in der Suppe.
Das Leitbild ist ein wichtiger, aber nicht der
einzige Baustein in der strategischen Unter-
nehmensentwicklung. Wie ist es gelungen,
die unterschiedlichen Aktivitäten aufeinan-
der zu beziehen?
Das Leitbild ist neben den erforderlichenAnweisun-
gen das wesentliche Instrument für eigenverant-
wortliches Arbeiten. JederMitarbeiter kann anhand
der Vorstellungen und Werte auch im Einzelfall
ohne konkrete Handlungsanweisung im Sinne des
Unternehmens entscheiden. Mit der Leitbilderstel-
lung ist der Prozess aber nicht beendet. Er wird
anhand von Einzelentscheidungen oder Beispielen
bei regelmäßig stattfindendenMitarbeiterdialogen
immerwieder überprüft und diskutiert. Das festigt
denUmgang imSinne einer einheitlichenUnterneh-
menskultur. Für die Verlässlichkeit der verschiede-
nen Verantwortungshierarchien – wir setzen z. B.
auf Vertrauensarbeitszeit – ist das wesentlich.
An welcher Stelle stehen Sie heute – wie geht
der strategische Prozess für Sie weiter?
Um den starken Einflüssen durch den Einsatz der
digitalenMöglichkeiten gerecht zuwerden, ist die
zusätzliche Formulierung und Entwicklung eines
digitalen Leitbildes geplant. Der Prozess der Leit-
bildentwicklung und die anschließenden Work-
shops, Diskussionen und Beratungen haben uns im
Übrigen veranlasst, Überlegungen zur Änderung
unseres Firmennamens anzustoßen. Mehrheitlich
sindwir der Auffassung, dass sich auch hier Werte,
Vorstellungen und Assoziationen einstellen soll-
ten, die sich aus dem Leitbild ergeben. Die Verän-
derung des Unternehmensnamens, also imGrunde
einer Marke, die seit vielen Jahren existiert und
überwiegend positiv besetzt ist, gleicht der Ope-
ration amoffenen Herzen. Ein spannender Prozess
für eine strategische Entscheidung, deren Ergeb-
nis sich in den kommenden Monaten zeigen wird.
Vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Dr. Anja Ebert-Steinhübel.
Interview mit Michael Veiga
„Insgesamt hat das ‚Wir‘ einen höheren
Stellenwert erhalten“
Im vergangenen Jahr hat die Familienheim Karlsruhe eG das Strategieprojekt
„GoDigital“ umgesetzt. Kernstück des mitarbeiterorientierten Beratungs-
prozesses war das „Leitbild 2.0“. Weshalb Leitbilder heute aktueller sind denn
je und welche Aspekte bei der Entwicklung eines solchen zu beachten sind,
beantwortet der Familienheim-Vorstandsvorsitzende.