DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 6/2019 - page 54

MARKT UND MANAGEMENT
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Traditionelle Mechanismen der Steuerung und
Integration (wie Autorität, Hierarchie, Macht,
Kontrolle) greifen nicht mehr. Ihr Pendant liegt
in den „weichen“ Faktoren (wie Vertrauen, Ver-
antwortung, Selbststeuerung, Sinn), die zwar
langfristig wirksamer sind im Sinne der Zufrie-
denheit und des Engagements. Sie funktionieren
jedoch nur dann, wenn sie genauso systematisch,
deutlich und kontinuierlich benannt, reflektiert
und in konkreten Entscheidungssituationen ver-
mittelt und angewandt werdenwie das klassische
Rahmenmodell.
In seinem„Leitfaden zur Gestaltung sinnstiftender
Formen der Zusammenarbeit“ rät der Berater und
Autor Frederic Laloux zu einer solchen „Neuer-
findung der Organisation“ (2015) – nicht nach
Maßgabe allgemeiner theoretischer Konzepte
oder gegenwärtiger Trends, sondern auf Basis
ihres je eigenen, evolutionären Sinns, also eines
„Leitbildes 2.0“.
Leitbild 1.0 versus Leitbild 2.0
Das Leitbild 2.0 ist mehr als eine Solldefinition,
mehr als ein Orientierungsrahmen für das tägliche
Handeln. Es fungiert vielmehr als permanenter
Entwicklungsimpuls im Sinne eines „lernenden
Systems“: Die unternehmensspezifisch formulier-
ten Leitbildperspektiven sind die Basis von z. B.
über Projektteams initiierte undmoderierte Lern-
felder zuMarkt- bzw. Zukunftsthemen, Fragen der
Motivation und Zufriedenheit, Neugestaltung von
Prozessen und Neudimensionierung von Führung
und Organisation.
In ihrer Grundidee und ihren Gütekriterien un-
terscheiden sich die Leitbildversionen kaum:
Wirksamkeit entsteht durch Glaubwürdigkeit in
einem intensiven Kommunikationsprozess über
alle Unternehmensbereiche und –ebenen hinweg.
Das Leitbild 2.0 entspricht der Logik der digitalen
Transformation: Nicht die Einheitlichkeit ist das
Ziel, sondern die gelebte Verschiedenheit; nicht
die Abgrenzung, sondern die Öffnung; nicht das
Ergebnis, sondern die Entwicklung in einem ge-
meinsamen Lernprozess.
Erfahrung nutzt der Gegenwart –
Intelligenz schafft Zukunft
Die Kurzversion der Message eines Leitbildes 2.0
lautet „raus aus der Komfortzone“. Der strategi-
sche Impuls und die methodische Partizipations-
übung erbringen jedoch nur dann einen Nutzen,
wenn dahinter eine eindeutige (Digital-)Strategie,
ein (Dauer-)Auftrag zur Organisationsentwick-
lung sowie eine aktiv auf Lernen setzende Kultur
stehen.
So, wie disruptiver Wandel als neue Antwort auf
den Kundennutzen entsteht, sollte eine dynami-
sierte und ganzheitliche Strategieentwicklung
über die klassischen Erfolgskriterien hinaus am
Nutzen für die Organisation gemessen werden:
• Inwieweit gelingt es, das Interesse an Bran-
chentrends, Technologien und übergreifenden
Themen zu wecken? Wie ist die Informiertheit
zu diesen Themen über den engeren Führungs-
zirkel hinaus?
• Wie gewinnen wir neue Mitarbeitende, welche
Kompetenzen setzen wir voraus? Wie verteilen
wir Führung, Selbststeuerung und Ansprech-
barkeit in der Organisation?Welche Bedürfnisse
haben unsere Kunden in der Zukunft, und wie
bereiten wir uns darauf vor? Was ist unsere
„Marke“, wie wird diese kommuniziert?
• Wie nutzen wir Digitalisierung im Unterneh-
mensprozess, welche neuen bzw. anderen Res-
sourcen entstehen daraus? Wie und wo gene-
rieren wir Innovation in unserem Produkt- und
Serviceangebot?
Strategieentwicklung 2.0 - vom ganzheit-
lichen Prozess zum „agilenten“ System
Zugegeben, terminologische Neuschöpfungen
machen dieWelt nicht übersichtlicher. Buzzwords
führen ihr Thema eher in die Bedeutungslosigkeit,
denn auf den Plan des Handelns. Trotzdem fand
sich kein passender Begriff für denModus der Be-
ratung, der der neuen Logik des Digital Changes
entspricht. „Agilenz“ heißt Beratung als Impuls,
als Integrationsplattform für unterschiedliche
Projekte und als Wissensinput, deutlich über die
übliche Prozessmoderation hinaus.
Fazit
Das Gesamtbild bleibt: Strategieentwicklung ent-
steht in einzelnen Bausteinen, vereint Werte, Ziele
undMaßnahmen undmündet in eine – wie institu-
tionalisiert auch immer – lernende Organisation.
Ein Instrument alleine wird dazu nicht reichen, es
bedarf der gesamten Klaviatur normativer, stra-
tegischer und operativer Intelligenz, um Wissen,
Kompetenzen, Motivation und Zugehörigkeit neu
anzuregen und weiterzuentwickeln. Welche For-
mate jeweils vorhanden oder einzuführen sind,
ist unternehmensindividuell. Eine idealtypische
Roadmap für Strategieentwicklung 2.0 gibt es
nicht. Ideale Effekte gibt es jedoch, nämlich
dann, wenn strategisches Denken und Handeln
zum Normal- und Angst vor Veränderung zum
Ausnahmefall geworden sind.
LEITBILD 2.0 IM „AGILENTEN“ STRATEGISCHEN SYSTEM
Leitbild 2.0
Unternehmens-/Digitalisierungsstrategie
Organisationsentwicklung/(Digitale)Transformation
(Weiter-)Bildung 2.0
• Vision/Mission
• Werteorientierung
• Entwicklungsfelder
• Erfolgsmatrix
• Zielsystem/OKR
• Wirkungsorientierung
• Zukunftswerkstatt
• Kompetenzlogik
• Selbststeuerung
• Fehlerkultur
• Atmende Organisation
• Changeability
• Kommunikations-/
Lernplattformen
• Strategische HR
• Fach- und Führungs­
coachings
• Learning-on-demand
• Interne Barcamps,
Wissenszirkel etc.
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