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6|2019
Arbeitsformenwird steigen. Auch ein Gegentrend
kann schließlich nur erfolgreich sein, wenn er sich
mit dem jeweils Anderen und Neuen auseinander-
setzt.
Darin liegt diewichtigste strategische (Führungs-)
Aufgabe unserer Zeit: Das Spannungsfeld zwischen
der „Sehnsucht nach Orientierung, Werten und
Authentischem“ und der Ideologie des technisch
Machbaren in seinen Extremen zu denken, auszu-
probieren, auszubalancieren und eine eigene Ant-
wort darauf zu finden, gelingt nur in der aktiven
Auseinandersetzungmit den neuen Themen – und
zwar über die Grenzen der eigenen Branche hinaus.
Was muss auf die strategische Agenda?
Aus Fehlern sollte man lernen: Digitalisierungs-
und alle anderen umfassenden Veränderungspro-
zesse scheitern i.d.R. nicht an den Ressourcen,
der Technik, ja nicht einmal, wie in der Change-
Literatur lange beschworen, am fehlenden En-
gagement des Managements. Sie scheitern an
der Kultur, d.h. den nicht offen erkennbaren
Einstellungen, Wünschen, Werten, Ängsten etc.
Und sie scheitern daran, dass strategische Im-
pulse und Veränderungen allzu lange nicht als
Normalzustand, sondern als Besonderheit und als
Chefsache definiert waren.
Vertrauen gibt es nicht umsonst. Engagement
braucht konkreten Antrieb und persönliche Mo-
tivation. Eine veränderungsaffine Kultur setzt In-
formiertheit und Teilhabe voraus und nährt sich
von einer aktiven und offenen Kommunikation,
die sich nicht auf fachliche und funktionale Zu-
ständigkeiten beschränkt.
Die wesentlichen Handlungs- und Diskussionsfel-
der sind in folgender 4-Punkte-Agenda benannt:
1. Geschäftsmodell und Selbstverständnis einer
auf Nachhaltigkeit, Stabilität und (Bestands-)
Sicherheit gründenden Branche bedürfen einer
grundlegenden Erneuerung: Die Positionen von
Angebot und Nachfrage werden im sozialen,
politischen und ökonomischen Diskurs über
Wohnen-Leben-Arbeiten künftig neu verteilt.
2. Führung, Organisation und Kommunikation
werden im digitalen Zeitalter einerseits immer
wichtiger, müssen sich andererseits aber auch
komplett neu erfinden – nach Maßgabe der
Ansprüche und Anforderungen der Mitarbeiter,
der Kunden und einer grundsätzlich höheren
Beweglichkeit und Lernfähigkeit des eigenen
Systems.
3. Digitalisierung von Geschäftsprozessen darf
daher nicht als Ziel oder Ergebnis angesehen
werden, sondern als Basisqualifikation, umum-
fassendere Trends in der Wertschöpfungskette
Bauen-Wohnen-Leben überhaupt erst erken-
nen, nutzen und vor allem mit entwickeln und
gestalten zu können. Alles, was digitalisiert
werden kann, wird digitalisiert werden.
4. Strategie wird zum Dauerthema eines wirk-
samen Veränderungsmanagements. Zur Un-
terstützung der Richtung, Dringlichkeit und
Umsetzung der Entwicklungsmaßnahmen
und –prozesse sind die bestehenden Instru-
mente nicht obsolet. Sie bedürfen aber einer
Dynamisierung und Integration in einen sys-
tematischen Change-Management-Prozess,
der sowohl durch eine verantwortungsvolle
Führung als auch durch das Engagement der
Mitarbeitenden motiviert und orientiert wird.
Führung als Change-Management
Veränderungserfolg kann auf eine Formel gebracht
werden. Es geht umdie Beantwortung des erkann-
ten Veränderungsbedarfs durch eine kompetente
und motivierte Veränderungsstrategie.
Die Wichtigkeit und Dringlichkeit resultiert aus
dem Wissen über interne und externe Verände-
rungen, Trends und Perspektiven sowie dem de-
finierten Ziel- undMaßnahmensystem. Die Verän-
derungsfähigkeit basiert auf den fachlichen und
überfachlichen Kompetenzanforderungen (Kön-
nen) der aktuellen und zukünftigen Organisation
und ihremReaktions- und Antizipationsvermögen
ad hoc. Die Veränderungsbereitschaft zielt auf die
angstfreieMotivation für Neues (Wollen), vermit-
telt durch eine kulturelle Vielfalt, Offenheit und
Wertschätzung in der Organisation.
Die „Changeability“ ist also Voraussetzung und
Ergebnis einer zukunftsorientierten Führung zu-
gleich. In einem klug initiierten und moderierten
strategischen Prozess sind die drei Aspekte des
Wissens, Könnens undWollens inhaltlich undme-
thodisch angelegt und integriert.
Strategische Neuerfindung –
vomWertekorsett zumWertekern
Moderne Führung und Organisationsentwicklung
bilden ein Spiel mit den Widersprüchen: hier Agi-
lität als Überlebensforderung, dort Stabilität
als Vertrauensanker; hier Virtualität als Raum-
konzept, dort Nähe und Authentizität als Wesens-
attribut. Das Ausloten und das Austarieren der
Extreme erfordert nicht weniger, sondern mehr,
nicht Auflösung, sondern Neuerfindung einer
mindestens „beidhändigen“, „atmenden“, „ler-
nenden“ Führung und Organisation.
CHANGEABILITY-FORMEL
Veränderungserfolg
Veränderungsbedarf (Wichtigkeit × Dringlichkeit)
Veränderungsbedarf × Veränderungsbereitschaft
VOM LEITBILD 1.0 ZUM LEITBILD 2.0
„Codex“
• Normierung
• Entscheidung
• Rahmung
Fokussierung
• Eindeutigkeit
• Zuordnung
• Richtigkeit
Status
• Top-down
• Analog
• Senderorientiert
„Purpose“
• Orientierung
• Versprechen
• Perspektive
Offenheit
• Vielfalt
• Polarisierung
• Diskussionsbasis
Work-in-progress
• Bottom-up
• Digital
• Empfänger
orientiert
Funktion
• Identifikation
• Motivation
• Integration
• Koordination
• Legitimation
Gütekriterien
• Vollständigkeit
• Wahrheit
• Konkretheit
• Transparenz
Kommunikation
• Partizipation
• Ausgleich
• Stakeholder-
Perspektiven
Leitbild 1.0
Leitbild 2.0