DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 6/2019 - page 48

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6|2019
Führungskultur im Wandel
Mut zum Experiment
Veränderte Kundenerwartungen und die Digitalisierung erfordern eine Führungskultur, die
Unternehmen innovativer und anpassungsfähiger macht. Im Fokus der Debatte über moderne
Leadership-Konzepte stehen fünf Themen.
Die Geschäftsmodelle vieler Unternehmen stehen
durch die Veränderung der Kundenerwartungen,
neue Technologien und Regulierung zunehmend
unter Druck. Es reicht nicht mehr aus, die Erfolgs-
rezepte der Vergangenheit fortzuschreiben, da
bestehende Eckpfeiler in Frage gestellt werden.
„Wir wissen, dass unsere Branche in zehn Jahren
völlig anders sein wird“, erklärte jüngst Daimler-
Chef Dieter Zetsche und ergänzte: „Es ist kein
Naturgesetz, dass Daimler ewig besteht.“
Die Bewältigung des Strukturwandels kann nur
durch eine neue Führungs- und Arbeitskultur ge-
lingen, meint Zetsche weiter und ist sich dabei mit
vielen Geschäftsführern einig. Die Schlagworte für
die neue Führungskultur sind „Leadership 4.0“,
„Digital Leadership“ oder „New Management”.
Dabei geht es aber nicht nur um ein anderes Füh-
rungsverständnis der Leader, sondern umdie Un-
ternehmenssteuerung insgesamt: Es geht umdas
Verhalten der Führungskräfte undMitarbeiter, die
häufig IT-gestützten Führungsinstrumente und
die Organisationsregeln. Häufig wird von einem
neuen „Betriebssystem“ gesprochen – eineMeta-
pher, die in einer von der Digitalisierung geprägten
Kultur auf große Resonanz stößt. Bei den vielen
Projekten, die Geschäftsführer und HR-Chefs der-
zeit initiieren, beobachte ich derzeit fünf Trends.
1. Mehr Demokratie im Unternehmen wagen
Über die Leistungsfähigkeit der Hierarchie wird
seit zehn Jahren kritisch diskutiert. „Das demo-
kratische Unternehmen“ heißt ein vor vier Jahren
erschienenes Wirtschaftsbuch, das Thomas Sattel-
berger, Isabell Welpe und Andreas Boes herausga-
ben und darin Alternativen zusammenstellten. Der
Blick auf die Autoren, die in diesemBuch über ihre
Erfahrungen schreiben, zeigt: Der Ruf nach mehr
Demokratie in Unternehmen kommt nicht aus den
Gewerkschaften oder von linken Parteien, sondern
von Unternehmern und Managern, vor allem aus
dem Mittelstand. Die Unternehmer und Manager
plädieren mit dem Begriff „Demokratisierung“
aber nicht für die Ausweitung der klassischen
Mitbestimmung oder die Übertragung der poli-
tischen Ordnung auf die Unternehmen, sondern
es werden damit unterschiedliche Partizipations-
modelle verfolgt: von der Projektsteuerung durch
Selbstorganisation, der Wahl von Führungskräften
durch Belegschaften bis hin zur Holokratie.
Die gemeinsame Überzeugung der „Unterneh-
mensdemokraten“ ist: Hierarchien sind nicht
mehr in der Lage, komplexe Organisationen zu
steuern und die Mitarbeiter zu motivieren. Neue
Partizipationsmodelle können den Unternehmen
helfen, Energie- und Kreativitätspotenziale der
Mitarbeiter zu heben und damit die Unternehmen
innovativer und wettbewerbsfähiger zu machen.
Dazu braucht es in der Führung ein neues Betriebs-
system, das viel stärker über Netzwerke und Be-
teiligungsprozesse arbeitet.
2. Agilität und Selbstorganisation
Der Kern des neuen Betriebssystems für das di-
gitale Zeitalter ist Agilität. Die einen verstehen
darunter vor allemden Einsatz von agilenMetho-
denwie Scrum, Sprints oder Stand-ups - die heute
den Alltag nicht nur vieler IT- und Projektmanage-
mentabteilungen prägen. Die anderen verbinden
mit Agilität neue Organisationsmodelle, die dem
Unternehmen eine schnellere Anpassung an Struk-
turveränderungen erlauben.
Telekom-Chef Tim Höttges hat seinen Managern
ein Führungsprogramm verordnet, mit dem die-
se beidhändiges Führen (Ambidextrie) erlernen
sollen. Bestandsgeschäfte sollen hierarchisch und
effizient gemanagt werden, Innovationsgeschäfte
hingegen über Agilität und Selbstorganisation.
Daimler hat sich mit dem Programm „Leadership
2020“ zum Ziel gesetzt, dass 20% der Beschäf-
tigten bis 2020 in agilen Strukturen arbeiten sol-
len. Das Silodenken soll aufgebrochenwerden, um
mehr Innovationen zu ermöglichen. Kulturprä-
gend für dieses Programm war übrigens, wie die
144 Plätze des Projektteams vergeben wurden:
Die Auswahl wurde nicht über Führungskräfte
gesteuert, sondern Mitarbeiter aller Hierarchie-
stufen konnten sich darauf bewerben.
3. Diversity und Home-Office
Der Veränderungswille der Unternehmen wird
durch den Fach- und Führungskräftemangel be-
schleunigt. Wer über eine moderne Führungskul-
tur verfügt, ist als Arbeitgeber attraktiver. Viele
Unternehmen schaffen deshalb flexible Arbeits-
modelle und Home-Office-Regelungen, die die
Vereinbarkeit von Beruf- und Privatleben ermög-
lichen. Oft hapert es allerdings an der Umsetzung
der familienfreundlichen Kultur.
Eine erhebliche Zahl von Unternehmen – aus
meiner Sicht sind es immer noch zu wenige – hat
inzwischen Zielvorgaben, umden Frauenanteil im
Management zu erhöhen. Wie die Forschung und
Erfahrungen zeigen, ist dies wesentliche Voraus-
setzung, um Chancengleichheit auf allen Ebenen
Wirklichkeit werden zu lassen. Übrigens: Der Er-
folg von Unternehmen korreliert mit mehr Diver-
sity im Management – wobei sich die Forschung
nicht einig ist, ob es einen Ursache-Wirkungs-
Zusammenhang gibt.
4. Purpose und gemeinsame Werte
Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Umsatz-
wachstum allein begeistert keinen Mitarbeiter.
Reiner Straub
Herausgeber
Personalmagazin
Freiburg
THEMA DES MONATS
MARKT UND MANAGEMENT
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