DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 4/2018 - page 57

land entfernt haben, umso mehr haben wir die
Förderkriterien reduziert, sodass am Ende nur
noch 14% der Bevölkerung Zugang zum sozialen
Wohnungsbau hatten. Die Folge davon war, dass
wir Quartiere mit einer überforderten Nachbar-
schaft bekamen.
Heute stellt sich wieder die Frage, wie wir ge-
mischte Belegungsstrukturen erreichen, bei de-
nen Menschen unterschiedlicher Interessen und
Einkommen friedlich miteinander leben. Ich sage
das deshalb so deutlich, weil einige, die heute über
sozialen Wohnungsbau reden, auf dem besten
Wege sind, wieder die Gettos zu bauen, die wir
schon einmal hatten. Das ist das Dümmste, was
wir überhaupt machen können, weil die Reparatu-
ren, die wir hinterher sehr aufwendig finanzieren
müssen, gigantisch seinwerden. Undwas den Kauf
von Belegungsbindungen anlangt: alles richtig,
was Sie gesagt haben. Nur muss man ergänzen,
dass uns das nicht den Neubau erspart.
Anne Keilholz:
Genau, wir können das Problem
nur mit mehr Neubau lösen. Aber gerade in den
Hotspots regt sich an jeder EckeWiderstand gegen
Wohnungsneubau. Ich würde mir deshalb wün-
schen – da bin ich vielleicht von unserem Berliner
Umfeld geprägt –, dass die Politik klar kommuni-
ziert, dass wir mehr Wohnungen brauchen, um
das Problem zu lösen. Partizipation spielt eine
wichtige Rolle, um die Menschen von Neubauten
zu überzeugen. Aber es kann nicht um das „Ob“
gehen, sondern nur um das „Wie“.
Dr. Franz-Georg Rips:
Was wir hingegen nicht
brauchen, ist eine weitere Kommission, die sich
mit dem kostengünstigen Bauen befasst. Wir ha-
Dr. Axel Tausendpfund
Lars Ernst
ben in der Vergangenheit vier Baukostensenkungs-
kommissionen in Deutschland gehabt, und keine
hat auch nur eine einzige erkennbare Wirkung im
Sinne einer Senkung der Baukosten erzielt. Diese
Kommissionenwaren nicht nützlich und nicht hilf-
reich. Wir brauchen keine teuren Kommissionen
mit Wissenschaftlern, die sichmonatelang treffen
und dann ein Papier produzieren, das schlicht und
einfach nicht brauchbar ist.
Und ein anderer Punkt darf nicht untergehen: Wir
müssen deutlich machen, wie wichtig auf Bun-
desebene ein Infrastrukturministerium ist. Nur
ein solches Ministerium kann die Werkzeuge ein-
setzen, die erforderlich sind, um zu vernünftigen
Lösungen zu kommen. Das hat die Politik leider
nicht verstanden.
Jürgen Steinert:
Ich kann das nur unterstreichen.
Möglicherweise ist das unsere wichtigste Bot-
schaft überhaupt: ein Infrastrukturministerium,
bei dem Bauen und Wohnen nicht in Konkurrenz
zu anderen Politikfeldern stehen. Ich teile auch
die Einschätzung, dass sich die Politik nicht dar-
über im Klaren ist, wie brisant das Thema Bauen
und Wohnen ist. Wenn wir nicht rechtzeitig zu
Lösungen kommen, die auch für die Betroffenen
erkennbar sind, dann kann erheblicher politischer
Sprengstoff entstehen.
Zum Schluss ein Hinweis: Es ist noch gar nicht
so lange her, dass leider einige Kommunen ihre
Wohnungsunternehmen verkauft haben, weil die-
se angeblich pleite waren. Damit haben sie, wie ich
immer sage, die Saatkartoffeln, die sie pflanzen
mussten, aufgegessen. Das war ihnen bloß nicht
klar. Und damit bedanke ich mich ganz herzlich
für die angeregte Diskussion.
„Zum Schluss ein Hinweis: Es ist noch gar nicht so lange her, dass leider
einige Kommunen ihre Wohnungsunternehmen verkauft haben, weil
diese angeblich pleite waren. Damit haben sie, wie ich immer sage, die
Saatkartoffeln, die sie pflanzen mussten, aufgegessen. Das war ihnen
bloß nicht klar.“
Jürgen Steinert
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