DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 4/2018 - page 50

Für mich ist Wohnen dann bezahlbar, wenn
ein Haushalt mit einem Durchschnittsver-
dienst eine Kaltmiete von nicht mehr als
7,50 €/m
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bezahlen muss. Legt man die
Zahlen des Betriebskostenspiegels des
Mieterbundes zugrunde, entspricht das
einer Bruttomiete von 10,80 €/m
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. Bei
einem Nettoeinkommen von 2.500 € im
Monat beträgt die Mietbelastung für unse-
ren Durchschnittsverdiener also etwa 31%.
Mehr sollte es auch nicht sein.
Nun ist ja die gesellschaftliche Wirklichkeit nicht so, dass Wohnungen
immer 70 m
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groß sind und dass Heizkosten immer 1,10 €/m
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betragen.
Deshalb brauchen wir flexiblere Förder- und Unterstützungsinstrumente.
Ich denke dabei insbesondere an eine flexiblere Einberechnung der Til-
gungszuschüsse im öffentlich geförderten Wohnungsbau, wie es ansatz-
weise in Nordrhein-Westfalen geschieht.
In meinen Augen ist es auch nötig, dass die Wohnungsbauförderung eine
Gemeinschaftsaufgabe von Bund und Ländern bleibt. Denn zwischen
Erstellungskosten von Wohnraum und bezahlbaren Mieten wird immer
ein Delta bleiben, das nur mit öffentlichen Zuschüssen ausgefüllt werden
kann. Wenn darauf hingewiesen wird, dass die Kommunen Planungs-
und Genehmigungskapazitäten abgebaut haben, so darf man einen nicht
unwesentlichen Grund dafür nicht verschweigen: Die Wissenschaft hat
behauptet, es gebe keinen Bedarf mehr für Neubau. Da hat die Fach-
wissenschaft einen Riesenfehler begangen. Wenn ich mir die Prognosen
ansehe, die einige wissenschaftliche Institute in Bezug auf die Haushalts-
und Bevölkerungszahlen in Deutschland vorgelegt haben, kann ich nur
sagen, dass sie hoffnungslos danebengelegen haben.
Was also ist zu tun? Ich sehe einen ganzen Strauß an Maßnahmen, die
umgesetzt werden müssen. So sollten wir bei der Grunderwerbsteuer
eine einheitliche Regelung für alle Bundesländer treffen, die dazu bei-
trägt, Kosten zu senken. Ebenfalls für erforderlich halte ich eine Erhö-
hung der AfA. Denn der Werteverzehr von Gebäuden findet schneller
statt, als er in der bisherigen Regelung abgebildet wird. Außerdem soll-
ten wir wissenschaftlich prüfen lassen, welche Chancen mit mittelbaren
Belegungsrechten verbunden sind. Um eine soziale Mischung zu erzielen,
benötigen wir auch im Neubau verbindliche Anteile von frei finanzierten
und öffentlich geförderten Wohnungen.
Nicht unterschätzen sollten wir schließlich die Chancen der Digitalisie-
rung. Wenn es gelingt, die Heizung so einzustellen, dass sie automatisch
zurückgefahren wird, sobald die Nutzer die Wohnung verlassen, und dann
eine halbe Stunde vor Rückkehr der Bewohner wieder hochgefahren wird,
so wäre das ein durchaus nennenswerter Beitrag zur Kosteneinsparung.
Dr. Franz-Georg Rips, Präsident, Deutscher Mieterbund (DMB), Erftstadt
Die Fachwissenschaft hat mit ihren Prognosen versagt
Entvölkerung beschleunigt. Deshalb müssen wir die Kerne in den ländli-
chen Gebieten stärken, insbesondere mit Blick auf die Gesundheitsver-
sorgung. Dazu gehört auch der Bau bezahlbarer, kleinerer Wohnungen für
ältere Menschen. Kurzfristig steht für mich eine Forderung im Zentrum:
Wir brauchen höhere Fördergelder. Denn die Zeit rennt uns davon. Wir
wissen nicht, wann die Zinsen wieder steigen. Deshalb müssen wir jetzt die
Probleme mit einem Kraftakt anpacken und auch den Mut haben, gewisse
Standards zu reduzieren und nur das zu realisieren, was finanzierbar ist.
Um das Problem des Mangels an bezahlbaren Wohnungen zu lösen, brau-
chen wir keine singulären Lösungen, sondern eine konzertierte Aktion.
Sicher, kurzfristig müssen wir bauen, bauen, bauen. Gleichwohl möchte
ich aber auch einen Blick nach vorne werfen. Warum konzentriert sich
die Problemlage auf dem Wohnungsmarkt auf die Hotspots? Die Antwort
lautet: weil es attraktiv ist, dort zu wohnen. Und attraktiv ist es, weil es
dort Arbeit gibt. Umgekehrt findet Landflucht statt, weil es im ländlichen
Raum an Infrastruktur, Arbeitsplätzen und damit Attraktivität fehlt.
Was bedeutet das für die Zukunft? Wohnungspolitik ist für mich signi-
fikant auch Standortpolitik. Und damit meine ich auch Industriepolitik.
Wenn wir an die Industrialisierung zurückdenken, so stellen wir fest, dass
damals die Unternehmen für ihre Mitarbeiter Wohnungen gebaut haben,
und zwar dort, wo die Arbeitsplätze waren. Wir brauchen deshalb auch
heute eine Infrastruktur- und Industriepolitik für den ländlichen Raum,
um die Hotspots zu entlasten und die Menschen dorthin zu bringen,
wo die Arbeitsplätze sind. Das kann dann gelingen, wenn wir die Arbeit
durch geschickte politische Maßnahmen und durch Investitionen über die
Region verteilen. Damit erreichen wir eine
bessere Verteilung von Arbeit und Wohnen.
In manchen Regionen stehen ja 20% der
Wohnungen leer. Dort gibt es Wohnungen,
aber eben keine Arbeit. Um eines klarzu-
stellen: Wenn ich von Industriepolitik rede,
dann meine ich nicht nur die tradierten
Industrien. Gerade die neuen Industrien
sollten wir in den Regionen ansiedeln.
Das gilt übrigens auch für die Ansiedlun-
gen von Ministerien und Behörden. Warum wird dabei immer nur an die
Hotspots gedacht? Warum kann man Ministerien nicht auch mal in die
Regionen verlegen, um diese attraktiver zu machen? Das würde dazu bei-
tragen, Wachstum im ländlichen Raum zu schaffen und sich nicht immer
auf die Ballungszentren und Metropolen zu konzentrieren. Das wird zwar
nicht das massive Wohnungsproblem schnell lösen. Aber wir müssen auch
über Maßnahmen nachdenken, die mittel- bis langfristig wirken.
Lars Ernst, Group Managing Director, Group Business Consulting & Services, Aareal Bank AG, Wiesbaden
Wohnungspolitik heißt auch Standortpolitik
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MARKT UND MANAGEMENT
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