DIE WOHNUNGSWIRTSCHAFT 10/2018 - page 18

STÄDTEBAU UND STADTENTWICKLUNG
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können; einer der einprägsamsten lautet: „Ein
Alter ohne Schalter.“
Vielerorts verrotten die Ortskerne. Die Dörfer,
die Klein- und auch noch die Mittelstädte sehen
aus wie ein Donut, also wie dieser amerikanische
ringförmige Krapfen – ein abgeflachter Teigballen,
der in der Mitte ein Loch hat. Diese Donut-Orte,
es gibt hunderte, es gibt tausende in Deutschland,
sind innen hohl. Aber außen herum wachsen, gut
finanziert von den Sparkassen, die Eigenheim-
siedlungen immer weiter.
„Landlust“ heißt zwar eine der erfolgreichsten
Zeitschriften an den Kiosken. Aber die Landlust
gibt es in erster Linie dort und bei der Nachfrage
nachOmas Apfelkuchenrezept. Ansonsten existiert
eher der Landfrust. Viele Bürgermeister führen
bizarre Kämpfe um schnelle Datenleitungen, die
in einer hoch entwickelten Industriegesellschaft
eigentlich überall längst selbstverständlich sein
sollten. Landfrust: In den verödeten Ortskernen
kämpfen die verbliebenen Einzelhändler am ver-
kaufsoffenen Sonntag mithilfe von Eventagentu-
ren, die Trallafitti organisieren, um Kunden.
Man muss sich der provinziellen Depression
nicht ausliefern. Ja, der Einwohnerrückgang und
die Veränderung der Altersstruktur haben Aus-
wirkungen auf die Infrastruktur; dabei darf aber
nicht vornehmlich der Abbau die Zielsetzung
sein, sondern der Umbau. In der Mitte der Dörfer,
Märkte und Städte dürfen keine Löcher sein. Statt
den Stadtrand immer weiter hinauszuschieben,
müssen sich die Kommunenwieder um ihre Kerne
kümmern samt Abriss und Neubau im Bestand;
nur so können Städte Orte der Begegnung sein
oder wieder werden, Orte, an denen man zusam-
menkommt. Die Ortskerne in Dörfern, Klein- und
Mittelstädten müssen wiederbelebt werden.
Die Entvölkerung ländlicher Räume ist keinNatur-
gesetz. Sie ist eine Folge dessen, dass Arbeit und
Leben dort nicht oder viel zu wenig vereinbar
sind. Stadt und Land müssen viel besser verzahnt
werden. Es geht um einen besseren Nah- und
Mittelverkehr. Es braucht auch Glasfaserkabel bis
ins letzte Dorf. Die Debatte, was das für die Ar-
beitswelt bedeutet, hat eben erst begonnen. Wer
stabil ans schnelle Internet angebunden ist, muss
nicht jeden Tag an seinen zentralen Arbeitsplatz.
Einige Pendelei wird sich dann vermeiden lassen.
Die Landflucht könnte gestoppt, vielleicht lang-
sam wieder umgekehrt werden. Das wäre ein Akt
der neuen Wertschöpfung für das Land und seine
Kommunen.
Zweitens, die Boomstädte
Auch sie brauchen Heimatlichkeit. Auch für Nor-
malverdiener werden Mieten in deutschen Bal-
lungszentren zunehmend unerschwinglich. Die
Zahl der verfügbaren Sozialwohnungen ist in den
vergangenen Jahren drastisch gesunken, obwohl
die Zahl der Anspruchsberechtigten steigt. Im
Koalitionsvertrag stehen Steueranreize für den
Mietwohnungsbau, dort steht auch eine Passage
über ein neues Baukindergeld. Macht das viel Sinn?
Eigentlich fehlt es nicht an willigen Investoren
noch an Häuslebauern. Es fehlt in erster Linie an
Bauland. Die steigenden Grundstückspreise sind
der zentrale Grund, warum die Mieten und das
Bauen so teuer geworden sind.
EineNeuordnung des Bodenrechts ist kein kommu-
nistischer Unfug, sondern eine Notwendigkeit. Die
Neuordnung der Grundsteuer, die das Bundesver-
fassungsgericht anordnenwird, kann da ein guter
Anfang sein. Mit einem intelligenten Steuermodell
ließe sich nicht nur die Ungerechtigkeit imSteuer-
bescheid glätten, sondern auch der Umgang mit
den begehrten Flächen steuern. Der Schlüssel dazu
liegt darin, nicht amWert der gesamten Immobilie
anzuknüpfen, der ohnehin nur mit gigantischem
Aufwand zu ermitteln ist, sondern am Wert des
Bodens. Das könnte ein Beitrag zur Entspannung
der Immobilienmärkte sein, hilfreicher als die ge-
scheiterte Mietpreisbremse.
Eine Stadtmuss einGemeinwesen sein und bleiben,
es darf nicht Goldgrube für Spekulanten sein. Wenn
Flächen jahrelang brach liegen, weil Landbanker
ihr Geld im Schlaf verdienen wollen, dann muss
eine Kommune etwas dagegen tun. In Berlin sind
die Bodenpreise in den vergangenen fünf Jahren
um 345% gestiegen, die Verkaufspreise für Neu-
bauwohnungen nur um 60%. Warum also bauen,
sagen sich die Landbanking-Spezialisten, wenn
Nichtstunmehr Rendite bringt? Das kann, das darf
einGemeinwesen nicht hinnehmen. Bodenhaltung
muss teuer werden, und Bauen billiger.
Städte sind Gemeinwesen, keine Spekulations-
objekte. Städte müssen anders funktionieren als
Wetten auf Schweinehälften. Grund und Boden ist
kein nachwachsender Rohstoff. Ich bin daher der
Meinung, dass Grundstücke von der öffentlichen
Hand aus Verantwortung für die nachfolgenden
Generationen, an privat nur per Erbbaurecht ver-
geben werden. So könnte der soziale Fortschritt,
wie er in verschiedenen Landesverfassungen pro-
pagiert wird, ausschauen: Den Menschen bezahl-
bare Heimat schaffen.
Deutschland braucht einen heimatlichen Auf-
bruch. Die Boomstädte brauchen etwas von dem,
was das Land hat – bezahlbaren Wohnraum. Und
das Land braucht das, was die Stadt hat – die Ver-
bindung von Arbeit und Leben. Das ist Heimat-
politik.
Quelle: Mikhail Mishchenko/Shutterstock.com
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