Die Wohnungswirtschaft 9/2017 - page 44

ENERGIE UND TECHNIK
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9|2017
Herausforderung Brandschutz
Fassadendämmungen und Brandschutz – Gefahr vs. Risiko
Nach dem verheerenden Hochhausbrand im Londoner Grenfell-Tower kommt auch in Deutschland die
kritische Frage auf, ob Wohnhochhäuser hierzulande tatsächlich gegen derartige Katastrophen gewappnet
sind. Dies nahmen die Behörden vielerorts zum Anlass, Bauten nochmals kritisch zu prüfen. In Wuppertal
wurde daraufhin eine Wohnimmobilie mit 72 Bewohnern evakuiert. Ein Einzelfall – oder müssen plötzlich
ganze Häuserblocks zu unbewohnbaren „Feuerfallen“ deklariert werden?
Die bisherige Medienberichterstattung hat aller-
dings bisher wenig Klarheit darüber geschaffen,
worum es in der gesamten Debatte überhaupt
geht. Von welchen Bauteilen geht z. B. ein echtes
Brandrisiko aus? Es ist an der Zeit, verschiedene
Aspekte etwas zu differenzieren, um der Diskus-
sion mehr Objektivität zu verleihen.
Hintergrund
Mitte Juni 2017 war eine 24-stöckige Wohnim-
mobilie im Nordwesten Londons durch einen
defekten Kühlschrank in Brand geraten. Obwohl
die meisten Bewohner aus den 120 Wohnungen
flüchten oder gerettet werden konnten, starben
dennoch 80Menschen imFeuer. Erschreckendwar
besonders die Geschwindigkeit, mit der sich die
Flammen an der Fassade ausbreiten konnten – zum
jetzigen Zeitpunkt ist noch immer unklar, wo die
genaue Ursache dafür zu finden ist.
Laut den beteiligten Experten ist das Ausmaß
des Unglücks jedoch sehr wahrscheinlich auf
eine Verkettung unglücklicher Umstände zu-
rückzuführen. Vermutlich hat die Verkleidung
aus Aluminium zusammen mit einem dahinter-
liegenden Luftspalt für eine schnelle Ausbreitung
des Feuers (Kamineffekt) gesorgt. Dafür spricht,
dass auf vielen Bildern eine noch intakte Däm-
mung aus Polyisocyanurat-Hartschaum (PIR) zu
erkennen ist, die sich hinter der abgebrannten
Fassade befand. Daneben waren offenbar auch
Brandschutztüren, Feuerlöscher, Rauchmelder,
THEMA DES MONATS
Foto: Daniel Möller
Philipp Kloth
Energieheld GmbH
Plattform für energetische
Gebäudemodernisierungen
Hannover
Sprinkleranlagen und Rettungswege nicht ad-
äquat ein- bzw. ausgebaut.
Darum geht es aktuell nicht in Deutschland
Zunächst sollte einmal klargestellt werden, dass
Deutschland und Großbritannien hinsichtlich des
Brandschutzes von Fassaden überhaupt nicht
in derselben Liga spielen. Der Vorfall in London
ist ein Anlass, noch offene Sicherheitslücken zu
schließen. Hessen, Nordrhein-Westfalen und
Bayern lassen daher alle Hochhäuser auf ihre Si-
cherheit im Brandfall überprüfen. Entgegen der
landläufigen Meinung geht es allerdings nicht
generell um Dämmungen oder das berüchtigte
Styropor, sondern speziell um Konstruktionen
nach altem Baustandard, die in Verbindung mit
einer Fassadenverkleidung und schlechten Brand-
schutzmaßnahmen zu einer Gefahr in Gebäuden
über 22m Höhe werden könnten. Die Anzahl be-
troffener Immobilien ist also denkbar gering.
Es geht nicht speziell umDämmungen, weil dieser
Begriff viel zu weit gefasst ist. Dämmungen kön-
nen im Dach, an der Fassade, auf dem Fußboden
oder auch im Keller eingesetzt werden. Es gibt
sie in verschiedensten Ausführungen und mit un-
terschiedlichsten Materialien. Einige sind schwer
entflammbar, andere überhaupt nicht brennbar.
Auch Holz wird beispielsweise überall in Gebäu-
den eingesetzt, aber stellt nicht in jedem Fall ein
Brandrisiko dar.
Danach wird in deutschen Hochhäusern
gesucht
Bei der aktuellen Überprüfung deutscher Hoch-
häuser geht es nicht um die Frage, welche Immo-
bilien eine Dämmung besitzen, weil diese angeb-
lich grundsätzlich brandfördernd ist. Stattdessen
soll geprüft werden, ob ein Hochhaus (über 22 m
Höhe) als Gesamtkonstrukt samt aller verwende-
tenMaterialien ausreichend gegen die Einwirkung
Quelle: Energieheld
HÄUFIGSTE BRANDURSACHEN IN DEUTSCHLAND
Menschliches Fehlverhalten: 16 %
Überhitzung: 11%
Elektrizität: 30%
Brandstiftung: 10%
Offenes Feuer: 4%
Sonstiges: 29%
Anmerkungen
• Quelle: IFS Kiel, 2013
• Fassadenbrände: 0,1%
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