Die Wohnungswirtschaft 9/2017 - page 54

ENERGIE UND TECHNIK
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9|2017
„Die ursprünglichen Vertikalachser waren nicht
sehr erfolgreich.“
Ein neuer Ansatz aus der Schweiz
Doch Vogler sagt auch: „Mit den neuen Hori-
zontalachsern, die auch den Aufwind nutzen,
könnte sich das ändern.“ Damit bezieht sich die
GdW-Expertin auf das System, das in den beiden
Berliner Wohnanlagen der Gewobag zum Einsatz
kommt und die das Schweizer Start-up Anerdgy
AG mit Sitz in Zürich entwickelt hat. Dabei han-
delt es sich um ein auf dem Dach installiertes
System, das sowohl die Sonnenenergie als auch
die Windkraft zur Stromerzeugung nutzt. Jedes
Modul besteht aus vier Solarpaneelen und einem
Windkanal mit jeweils zwei Windturbinen. Diese
nutzen nicht nur den natürlichen Wind, sondern
auch die durch Strömungen an der Fassade erzeug-
ten Druckunterschiede.
„Unser System eignet sich für Neubauten und
Gebäude, die grundlegend saniert werden“, sagt
Sven Koehler, Gründer und CEO von Anerdgy. „Vo-
raussetzungen sind dabei ein Flachdach und eine
Gebäudehöhe von mindestens 8 bis 10m.“ Die
Nutzung der Windkraft zur Stromerzeugung lohnt
sich laut Koehler, wenn die Windgeschwindigkeit
an der Fassadenkante mindestens 3 bis 3,5m/sec
beträgt.
Dabei betont Koehler, dass das auf den Namen
Windrail getaufte System mehr ist als ein Instru-
ment zur Energieerzeugung. „Unser Konzept geht
nicht vomEnergiethema aus, sondern vomGebäu-
de“, erläutert er. „Unser Tool sitzt auf der Dach-
kante und integriert Funktionen wie Blitzschutz,
Fassadenschutz und Klimaanlage.“ Dadurchwerde
Platz für andere Nutzungenwie zumBeispiel einen
Dachgarten frei. „Erst in einemweiteren Schritt“,
so Koehler, „kommt das Thema Energie ins Spiel,
indem wir prüfen, ob sich das Gebäude und der
Standort für die Nutzung von Solar- und Wind-
energie eignen.“
Wie viel Energie Windrail erzeugt, hängt laut
Koehler vom jeweiligen Standort ab. In Berlin hält
er an günstigen Standorten pro laufenden Meter
Fassade und Jahr einen Ertrag von etwa 500 kWh
durch die Sonne und 250 kWh durch Wind für
realistisch. Als Stromgestehungskosten peilt An-
erdgy 5 bis 15 Cent/kWh an. Die Kosten für das
System beziffert das Unternehmen auf 2.000 bis
3.000 €/m laufende Fassade, wobei der genaue
Preis davon abhängt, welche Funktionen integriert
sind. Ein Modul ist 2m breit. Vorgesehen ist der
Verkauf der Module und nicht etwa ein Contrac-
ting-Modell, was Koehler damit begründet, dass
die Anlage ja Teil des Gebäudes sei. „Was die Ener-
gieerzeugung betrifft“, erläutert er, „so kann der
Gebäudeeigentümer die Anlage selbst betreiben
oder sie an einen Energiespezialisten verpachten.“
Zwiespältige Erfahrungen in Berlin
BeimSpandauer Pilotprojekt hat die Gewobag die
Berliner Stadtwerke mit dieser Aufgabe betraut,
wobei die Stadtwerke den erzeugten Strom für
Aufzüge und Haustechnik an das Wohnungsunter-
nehmen liefern. In diesem speziellen Fall bleibt die
Anlage im Eigentum von Anerdgy – eben deshalb,
weil es sich um einen Feldversuch handelt.
Dauern wird die Testphase am Blasewitzer Ring in
Spandau mindestens ein Jahr. Im bisherigen Ver-
lauf wurden nach Angaben vonGewobag-Vorstand
Snezana Michaelis „einige Erkenntnisse gewon-
nen, wo nachgebessert werdenmuss“. Soweichen
z. B. die Windgeschwindigkeiten am Blasewitzer
Ring stark von denen offizieller meteorologischer
Messstationen imnahenUmfeld ab –mit der Folge,
dass die Kubatur der Module nicht optimal gewählt
wurde. „Deutliche Verbesserungspotenziale“ at-
testiert Michaelis auch der elektroseitigen Steuer-,
Regelungs- undUmwandlungstechnik. Zudemhät-
ten Mieter zeitweise unter dem von den Rotoren
erzeugten Lärm leidenmüssen. Zumindest letzte-
res Problem ist nach Angaben von Anerdgy-Chef
Koehlermittlerweile gelöst: Einwissenschaftlicher
Zwischenbericht belege nach seinen Angaben, dass
die Anlage tagsüber mit voller Leistung arbeiten
kann, während die Windturbineneinheit in der
Nacht in reduziertem Betrieb laufen muss. Dies
sei aber ohnehin so geplant gewesen.
„Kein Heilsbringer“
Auf dem deutschen Markt ist Anerdgy mit sei-
nem System nach Expertenangaben derzeit ohne
Wettbewerber. In den Niederlanden verfolgt das
in Eindhoven ansässige Unternehmen Ibis Power
einen ähnlichen Ansatz, der ebenfalls Photovoltaik
und Windanlagen auf Dächern kombiniert. Von
den großen Energiekonzernen ist hingegen keine
Konkurrenz zu erwarten. „Als Energieerzeuger
konzentrierenwir uns grundsätzlich auf die groß-
maßstäbliche Erzeugung“, heißt es beispielsweise
bei der RWE-Tochter Innogy SE.
Ob sich das neue System in der Wohnungswirt-
schaft durchsetzen wird, ist offen. „Es besteht
der Wunsch, diese innovative Technik auch auf
weiteren Gebäuden zu installieren“, sagt Gewo-
bag-Vorstand SnezanaMichaelis. „Allerdings ist es
sinnvoll, zunächst einmal die Testphase abzuwar-
ten, bevor weitere konkrete Schritte erfolgen.“
Noch entspricht nach Angaben der Gewobag der
Energieertrag des Windanteils am Blasewitzer
Ring nicht den Erwartungen. Und sogar Anerd-
gy-Chef Koehler warnt vor übersteigerten Erwar-
tungen: „Die Windnutzung ist kein Heilsbringer.
Denn wenn die Windkraft isoliert und nicht im
Zusammenhang mit anderen Funktionen genutzt
wird, ist sie sehr teuer und trägt sichwirtschaftlich
tendenziell nicht.“
Diese Kleinwindkraftan-
lage steht auf dem Dach
des Verwaltungsgebäu-
des der EWG in Dresden-
Gorbitz. Das Projekt,
eine ganze Großsiedlung
damit auszustatten, ließ
sich nicht realisieren
Quelle: Eisenbahner-Wohnungsbaugenossenschaft Dresden eG
Diese neuartige Solar-Wind-Kraftanlage
befindet sich auf einem Hochhaus
in Berlin-Spandau
Quelle: Berliner Stadtwerke / Foto: Katja Lohse
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