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9|2017
von Feuer geschützt ist. „Schutz imBrandfall“ be-
deutet dabei nach realistischen Gesichtspunkten,
dass keinMensch zu Schaden kommt und das Feuer
in absehbarer Zeit unter Kontrolle gebracht wer-
den kann. Ein vollkommen unbrennbares Gebäude
wäre utopisch und kaum zu bezahlen.
Im Falle des Wuppertaler Hochhauses (Baujahr
1959) wurde bei der Fassade nach damals üblichen
Normen gearbeitet. In der Fassade befindet sich
lose Holzwolle in einer Holzkonstruktion. Dieser
Aufbau ist tatsächlich brennbar. Er entspricht je-
doch gleichzeitig schon lange nicht mehr gängigen
Baustandards. Bisher hatten sich die wechselnden
Besitzer der Immobilie stets geweigert, das Hoch-
haus zu sanieren. Selbst der komplette Austausch
gegen eine nicht brennbareMineralwolldämmung
würde das Problem nicht plötzlich auflösen.
Schutzmaßnahmen müssen auch das Innere ei-
nes Hauses betreffen, weil hier die allermeisten
Brände entstehen.
Im Fall von Installationsschächten ist eine Däm-
mung sogar unbedingt notwendig, um einen
Brandverlauf wie in London zu verhindern. Sind
solche Schächte nicht gedämmt, dann entsteht
ein Kamineffekt, durch den das Feuer blitzschnell
durch das gesamte Gebäude getragen wird. Es
kommt also weniger auf die Frage an, ob und wie
die Fassade gedämmt ist, sondern eher darauf, wie
sicher eine Immobilie im Brandfall insgesamt ist.
Zwischen Gefahr und Risiko unterscheiden
Egal ob eine Fassade nun mit Holzwolle, Polysty-
rol oder nicht brennbarer Mineralwolle gedämmt
wurde, bei der Brandsicherheit muss immer zwi-
schen Gefahr und Risiko unterschieden werden.
Diese Begriffe werden zwar häufig sehr lose ver-
wendet, entscheiden jedochmaßgeblich darüber,
wie sicher wir im Alltag sind. Das einfachste Bei-
spiel wäre ein Tiger im Zoo. Grundsätzlich kann
das Tier als gefährlich eingestuft werden, aber die
Stärke des Käfigs entscheidet darüber, wie hoch
das Risiko ist, tatsächlich von dem Tiger angefal-
len zu werden.
Ebenso verhält es sich mit Dämmstoffen, die als
„schwer entflammbar“ eingestuft werden. D. h.,
dass Stoffe wie Polystyrol im Ernstfall erst an-
fangen zu brennen, wenn das übrige Haus schon
in Flammen steht. Statistisch ist das Risiko einer
brennenden Fassade also relativ gering bzw. ir-
relevant, wenn das übrige Haus ohnehin schon
brennt. Analog hierzu wird beispielsweise auch
ein Dach gegen zu erwartende Risiken, aber nicht
gegen die grundsätzliche Gefahr eines Meteoriten-
einschlags gesichert.
Wo liegt also das zentrale Problem?
Aus einer professionellen Perspektive liegt das
zentrale Problem im Falle des Wuppertaler Hoch-
hauses nicht bei der veralteten Fassadendämmung
aus Holzwolle. Heute würde man einerseits an-
ders bauen als 1959 oder mit anderenMaterialien
erneuern als in den 1960er und 1970er Jahren.
Damals wurde zwar vieles gebaut und zugelas-
sen, worüber heutige Sachverständige nur müde
schmunzeln würden. Es können andererseits je-
doch heute kaum alle Immobilien ad hoc saniert
werden.
Wichtiger ist deshalb die Frage, wie angemes-
sen auf solche Sicherheitslücken reagiert werden
kann. Die verantwortlichen Behörden besitzen
wenig Handhabe, um streng gegen veraltete Bau-
standards vorzugehen. Ulrike Kusak, Sprecherin
der Stadt Wuppertal, zufolge wurde seitens der
Stadt schon seit 2010 mit Fristen und Zwangs-
geldern darauf gedrängt, die Fassade des jetzt
geräumten Hochhauses zu sanieren. Mehrfacher
Besitzerwechsel sorgte jedoch dafür, dass die
Höhe der Strafen immer wieder zurückgesetzt
werden musste und deren Zahlung erheblich
günstiger blieb als ein Austausch der gesamten
Fassade.
Viele Dämmstoffe sind überhaupt nicht
brennbar
Die aktuelle Debatte um die Brennbarkeit von
Fassadendämmungen vermengt Probleme von
Hochhäusernmit denen von niedrigerenWohnim-
mobilien. Grundsätzlich steht es jedem Immobili-
enbesitzer frei, selbst ein 1-stöckiges Gebäudemit
nicht brennbaren Materialien zu dämmen. Diese
Variante ist zwar teuer, schafft aber auch mehr
Sicherheit, falls einmal das gesamte Haus brennen
sollte. Der Staat lässt hier jedoch die Möglichkeit
offen, auch Materialien zu verwenden, die „nur“
schwer entflammbar und dabei günstiger sind.
Eine Pflicht zur Nutzung von nicht brennbaren
Materialien besteht nur bei Gebäuden über einer
Höhe von 22m, weil diemeisten Feuerwehrleitern
nicht höher reichen.
Was der Staat also als Freiheit bei der Wahl von
Baustoffen vorsieht, wird in den Medien aktuell
leider oftmals fälschlicherweise als Verantwor-
tungslosigkeit gewertet.
Was lehrt der Brand in London?
Für Experten dürfte es durch den Hochhausbrand
in London keine Erleuchtung imBereich brennba-
rer Baumaterialien gegeben haben. Unter prakti-
schen Gesichtspunkten ist es unmöglich und unnö-
tig, alles imAlltag absolut feuerfest zu gestalten.
Denn nicht einmal die Kleidung, die wir direkt am
Körper tragen, hält einem kleinen Feuer stand.
Stattdessen ist deutlich geworden, wie groß
eventuell der Nachholbedarf bei der Einhaltung
aktueller Baustandards sein könnte. Dazu gehört
nicht nur das Erkennen von kritischen Punkten,
sondern auch die Durchsetzung entsprechender
Änderungen. Darüber hinaus wird die Sicherheit
alter Wohnungsbestände offensichtlich verklärt,
wenn es gerade ein Hochhaus von 1959 ist, das
geräumt werden musste.
ImSinne eines guten Brandschutzes, aber auch der
Bezahlbarkeit vonMaßnahmen sind Brandschutz-
experten, Bau- und Immobilienwirtschaft sowie
Behörden gefordert, kooperativ und konstruktiv
Lösungen zu finden, die den jeweiligen Objekten
und Situationen entsprechen.
DÄMMSTOFFÜBERSICHT
Dämmung
Baustoffklasse
nach DIN 4102-1
Dämmung
Baustoffklasse
nach DIN 4102-1
Blähton
Nicht brennbar
Kork
Schwer entflammbar
Calziumsilicat
Nicht brennbar
Flachs
Normal entflammbar
Perlit
Nicht brennbar
Hanf
Normal entflammbar
Schaumglas
Nicht brennbar
Holzfaser
Normal entflammbar
Glaswolle
Nicht brennbar
Seegras
Normal entflammbar
Steinwolle
Nicht brennbar
Kokosfaser
Normal entflammbar
Holzwolle
Schwer entflammbar Schafwolle
Normal entflammbar
Styropor / EPS
Schwer entflammbar Schilf
Normal entflammbar
PUR & PIR
Schwer entflammbar Zellulose
Normal entflammbar
XPS
Schwer entflammbar
Quelle: Energieheld