CONTROLLER Magazin 2/2019 - page 47

45
scheinlichkeit oder Schadenshöhe hergeleitet?
Wer ist für die Risikoquantifizierung zuständig
gewesen und welche Datenquellen hat er ge-
nutzt? Oft ist auch unmittelbar offensichtlich,
dass die ausgewählte Wahrscheinlichkeits­
verteilung – häufig eine Binomialverteilung
(Bernoulli-Verteilung) – nicht sachgerecht ist
(siehe dazu das Regelsystem im zweiten Teil
des Beitrags).
Bei der Risikoquantifizierung sind zudem nur
nicht geplante Veränderungen zu beachten.
Weiterhin ist zwischen „Bruttowirkungen“ und
„Nettowirkungen“
eines Risikos zu unter-
scheiden. Für die Risikoquantifizierung sind
letztlich die Nettowirkungen relevant, bei denen
sämtliche momentan realisierte
Risikobewäl-
tigungsverfahren
(z. B. Versicherungen) be-
reits berücksichtigt sind.
Für die Quantifizierung eines Risikos kann man
sich an tatsächlich in der Vergangenheit einge-
tretenen Risikowirkungen (Schäden), an Bench-
mark-Werten aus der Branche oder an selbst
erstellten (realistischen) Schadensszenarien
orientieren (siehe weiterführend zu den statisti-
schen Verfahren der Schätzung der Parameter
von Wahrscheinlichkeitsverteilungen und zu
Gütetests Bamberg/Baur/Krapp, 2009), die
dann transparent zu beschreiben und hinsicht-
lich der Auswirkung auf das Unternehmenser-
gebnis zu erläutern sind.
Liegen für ein Risiko genügend historische Da-
ten vor, z. B. Schadensdaten oder Umsätze oder
Materialpreise, kann mittels statistischer Hypo-
thesentests auch geprüft werden, ob die ange-
nommene Wahrscheinlichkeitsverteilung in An-
betracht der vorhandenen Daten „passt“.
Es ist zu beachten, dass jede Quantifizierung
von Risiken, z. B. die Schätzung von Eintritts-
wahrscheinlichkeiten, immer nur einen „vor-
Stochastische Prozesse
Die hier erläuterten Wahrscheinlichkeitsver-
teilungen erlauben es, die Wirkung eines Risi-
kos – Häufigkeit des Eintritts oder Bandbreite
der Auswirkungen – in einer Periode bzw. bei
einem Einzelfall zu beschreiben. Um den zeit-
lichen Verlauf eines Risikos, über mehrere Pe-
rioden hinweg, zu beschreiben, kann man so-
genannte stochastische Prozesse nutzen (sie-
he weiterführend z. B. Cottin/Döhler, 2009;
Vose, 2008 und Bamberg/Baur/Krapp, 2009,
zu stochastischen Prozessen und Zeitreihen-
analysen). Ein einfaches Beispiel für einen sol-
chen Prozess ist der folgende Mean Reversion
Process.
ist der gleichgewichtige Wert des Prozesses
(Gleichgewichtsniveau). Liegt z. B. X
t
über die-
sem Wert, so ist der Driftterm
nega-
tiv und der Drift wird den Prozess tendenziell
nach unten „ziehen“. Der Parameter , die
„Steifigkeit“, gibt an, wie stark die oben be-
schriebene „Anziehungskraft“ von ist, die
Abweichungen vom Mittelwert beseitigt. Die
Größe
, die Standardabweichung von ,
gibt an, wie stark der Einfluss von bzw. des
Zufallsprozesses ist.
Grundsätze und Fehlerquellen
bei der Risikoquantifizierung
Bei der kritischen Analyse der Quantifizierung
von Risiken, die man bei deutschen Unterneh-
men findet, zeigen sich einige recht typische
Schwächen und Fehlerquellen, die es zu ver-
meiden oder beheben gibt. Während ein Risiko
meist inhaltlich gut beschrieben ist, fehlt oft
schon die Transparenz bezüglich der Risiko-
quantifizierung: Wie wurde eine Eintrittswahr-
Für die Beschreibung von asymmetrischen Risi-
ken, die entweder einen Chancen- oder einen
Gefahrenüberhang aufweisen, kann man im
einfachsten Fall die sogenannte
Dreiecksver-
teilung
verwenden. Bei dieser wird eine be-
trachtete risikobehaftete Größe (z. B. die Kosten
eines Projektes) beschrieben durch (a) Min-
destwert, (b) wahrscheinlichsten Wert und (c)
Maximalwert. Beispiele: risikobedingt mögliche
Bandbreite der Investitionshöhe. Die Dreiecks-
verteilung ist nützlich für die „planungsbezoge-
nen Risiken“ (im Controlling).
Diese kleine Liste von Wahrscheinlichkeits-
verteilungen ist natürlich nicht abschließend.
In Gleißner (2017a) findet man Erläuterungen
zu einer Vielzahl weiterer in der Praxis auch
wichtiger Wahrscheinlichkeitsverteilungen,
wie z. B. der Lognormalverteilung, der Expo-
nential-Verteilung, der Poisson-Verteilung
(vgl. Zeder, 2007) (für die Beschreibung der
Häufigkeit eines Risikoeintritts), der Gleich-
verteilung (für Situationen, in denen keine In-
formationen über die Eintrittswahrschein-
lichkeiten vorliegen) und der Pareto-Vertei-
lung, die geeignet ist, Extremereignisse (wie
Naturkatastrophen oder Börsencrashs) zu
modellieren. Manche Verteilungen weisen
ein hohes Maß an Flexibilität auf und können
genutzt werden, sehr unterschiedliche Sach-
verhalte geeignet zu modellieren (wie z. B.
die Weibull-Verteilung, vgl. Fuchs, 2018).
Oft ermöglicht aber nur eine Kombination von
Wahrscheinlichkeitsverteilungen eine adäquate
Beschreibung eines Risikos. Man denke z. B. an
den Fall, dass zwar einem ereignisorientierten
Risiko eine bestimmte Eintrittswahrscheinlich-
keit zugeordnet werden kann und die Scha-
denshöhe selbst unsicher ist.
Beispiel:
Der Schaden S tritt z. B. mit p =
10%iger Wahrscheinlichkeit ein und der unsi-
chere Schaden ist dann durch a = 10 (Mindest-
wert), b = 20 (wahrscheinlichster Wert) und c =
60 (Maximalwert) charakterisiert, was z. B.
eine Dreiecksverteilung zeigt (vgl. Abbildung 2).
Der Erwartungswert des Schadens (S) beträgt
dann:
Autor
Prof. Dr. Werner Gleißner
ist Vorstand bei der FutureValue Group AG in Leinfelden-
Echterdingen und Honorarprofessor für Betriebswirtschaft,
insb. Risikomanagement, an der TU Dresden. Er ist Mitglied im
Internationalen Controller Verein (ICV) und im Beirat der Risk
Management Association.
E-Mail:
CM März / April 2019
1...,37,38,39,40,41,42,43,44,45,46 48,49,50,51,52,53,54,55,56,57,...116
Powered by FlippingBook