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licher Zukunftsszenarien analysiert, um Kombi-
nationseffekte von Einzelrisiken auszuwerten
und so beispielsweise eine realistische „Band-
breite“ der zukünftigen Cashflows eines Unter-
nehmens oder Projektes anzugeben. Voraus-
setzung für eine Risikoaggregation ist eine
quantitative Risikoanalyse.
Um quantifizierte Risiken zu priorisieren und mit
ihnen leicht rechnen zu können, benötigt man
Risikomaße, die die „Menge“ von Risiken, die
durch verschiedene Wahrscheinlichkeitsvertei-
lungen beschrieben werden können, auf eine
reelle Zahl abbilden. Risikomaße, wie beispiels-
weise die Standardabweichung oder der Value
at Risk, können dann umgerechnet werden z. B.
in den Eigenkapitalbedarf oder risikogerechte
Kapitalkostensätze (Anforderungen an die Ren-
dite einer Investition; vgl. zur Methode Gleißner,
2011 und Dorfleitner/Gleißner, 2018). Um die
Informationen von quantitativen Risiken damit
speziell beim Abwägen von erwarteten Erträgen
und Risiken im Rahmen der unternehmerischen
Entscheidungsvorbereitung nutzen zu dürfen,
muss man sich mit insbesondere zwei Fragen
beschäftigen:
·
·
Durch welches Risikomaß sollen die Risi-
ken gemessen und priorisiert werden?
Für das „Rechnen mit Risiken“ benötigt man
ein Risikomaß. Schadenshöchstwert und
Schadenserwartungswert sind hier ungeeig-
net. Eine Quantifizierung kann durch ein Risi-
komaß erfolgen, wie z. B. den Value at Risk
(zum Wahrscheinlichkeitsniveau p) oder den
Expected Shortfall.
·
·
Wie soll – ausgehend vom Risikomaß –
auf die Bedeutung des Risikos für den
Unternehmenserfolg, den Unterneh-
menswert, geschlossen werden?
Bei ei-
ner wertorientierten Unternehmensführung,
die auf einem Abwägen erwarteter Erträge
und Risiken basiert, sind Einzelrisiken und
der daraus abgeleitete aggregierte Gesamtri-
sikoumfang ein bedeutender „Werttreiber“.
Der Gesamtumfang wirkt auf (1) Kapitalkos-
tensatz, (2) Eigenkapitalbedarf und (3) die
durch die Ratingnote ausgedrückte Insolvenz
wahrscheinlichkeit. Es ist sinnvoll zu definie-
ren, auf welchem Weg ausgehend von den
identifizierten und quantifizierten Risiken de-
ren Bedeutung für den Unternehmenswert
erfasst wird (wertorientierte Unternehmens-
führung). Eine solche „Überleitungsrech-
nung“ zwischen Risikomanagement und
wertorientiertem Controlling ist hilfreich, um
speziell auch den Wertbeitrag von Risikobe-
wältigungsaktivitäten zu verdeutlichen (sonst
ist Risikobewältigung, wie das redundante
Auslegen z. B. von Rechenzentren oder das
Abschließen einer Versicherung, immer nur
ein Kostenfaktor).
Grundlegende Voraussetzung für eine risiko-
und wertorientierte Unternehmenssteuerung,
die bei der Vorbereitung unternehmerischer
Entscheidungen die mit diesen verbundenen
Risiken adäquat beachtet, ist die Risikoanalyse
und damit die strukturierte Identifikation und
Quantifizierung von Risiken. In diesem Beitrag
werden nach einer Einführung in die Methoden
der Risikoidentifikation die wichtigsten Wahr-
scheinlichkeitsverteilungen (und stochastische
Prozesse) kurz vorgestellt, die für eine quantita-
tive Beschreibung der Risiken genutzt werden
können. Spezielle Probleme der Risikoanalyse,
z. B. im Umgang mit subjektiven Experten-
schätzungen, sowie ein strukturierter Leitfaden
zur Risikoquantifizierung ist in einer Fortset-
zung zu diesem Beitrag zu finden.
Identifikation und Neustrukturie-
rung von Risiken basierend auf
Ursache-Wirkungs-Beziehungen
Bevor man Risiken quantifizieren kann, müssen
diese zunächst erkannt und abgegrenzt wer-
den. Erster Schritt der Risikoanalyse ist daher
die Identifikation von Risiken (vgl. Gleißner,
2001; Vanini, 2014 und Gleißner, 2017a), die
wie folgt strukturiert werden kann:
Strategie und strategische Risiken
Die wichtigen
„strategischen Risiken“
lassen
sich identifizieren, indem die Bedrohungen der
für das Unternehmen wichtigsten Erfolgspoten-
ziale erfasst werden.
Controlling, operative Planung und Budge-
tierung („planungsbezogene Risiken“)
Im Rahmen von Controlling, Unternehmenspla-
nung oder Budgetierung werden bestimmte
Annahmen getroffen (z. B. bezüglich Konjunk-
tur, Wechselkursen und Erfolgen bei Vertriebs-
aktivitäten). Alle unsicheren Planannahmen
zeigen ein Risiko, weil hier Planabweichungen
auftreten können. Ursachen eingetretener
Planabweichungen zeigen die Auswirkungen
bestehender Risiken (Chancen und Gefahren).
Risikoworkshops (Risk Assessment)
(„operative Risiken“)
Manche Risiken lassen sich am besten im Rah-
men eines Workshops durch kritische Diskus
sionen erfassen. Hierzu gehören insbesondere
die Risiken aus den Leistungserstellungspro-
zessen (operative Risiken), rechtliche und politi-
CM März / April 2019
Abb. 1: Wahrscheinlichkeitsverteilungen (Quelle: Gleißner, 2017a, S. 175)