CONTROLLER Magazin 4/2019 - page 67

65
teme mit Algorithmen. Die Systeme führen die
Berechnungen durch. Menschen wiederum in-
terpretieren die Ergebnisse der Berechnung
und versuchen, Korrelationen von Kausalitäten
zu trennen. Menschen spielen also im gesam-
ten Prozess eine – auch im wörtlichen Sinne zu
verstehende – bestimmende Rolle. Sie haben
im Unterschied zu meinem ersten Beispiel heu-
te auch durchweg akzeptiert, dass die Systeme
bei der Auswertung von Vergangenheitsdaten
eine große, unverzichtbare Hilfestellung sind.
Verständnisprobleme wie im Fall der Wertorien-
tierung treten ebenfalls nicht auf, weil hier Ex-
perten („Data Scientists“, hoffentlich auch Con-
troller!) mit den Systemen arbeiten und auch
dabei sind, wenn die Ergebnisse Managern
präsentiert und erklärt werden.
... über die Übernahme von
Steuerungsaufgaben
Im zweiten Fall nehmen Systeme Menschen
(insbesondere Controllern) zentrale Steue-
rungsaufgaben ab. Ein sehr aktuelles Beispiel
ist das Forecasting. Alle großen Unternehmen
sind derzeit dabei herauszufinden, ob und wie
man den sehr personalintensiven Forecasting-
Prozess von Controllern lösen und an Systeme
übergeben könnte. Zwei zentrale Motive prägen
diese Überlegungen: zum einen damit erzielba-
re Rationalisierungsgewinne, zum anderen aber
auch das Freihalten des Forecastings von poli-
tischen Einflüssen; es wäre blauäugig zu glau-
ben, dass es Politik nur in der Planung gäbe!
Hinsichtlich der Performance eines systemi-
schen Forecastings ist die empirische Erfah-
rung zwar derzeit noch uneinheitlich; zumeist
herrscht aber Erstaunen vor, wie gut Systeme
prognostizieren können. Dies schwächt die Po-
sition der Controller, die immer auf ihre für eine
gute Prognose notwendigen Geschäftskennt-
nisse und ihr Gespür und ihre Intuition verwei-
sen. Erst diese würde sie in die Lage versetzen,
mehr über das hinter den Plänen Stehende zu
wissen. Betroffen sind aber natürlich auch die
Manager: Wenn Ergebnisse sehr gut durch ein
System prognostiziert werden können, leidet
ihre Aura, der Erfolg resultiere wesentlich durch
sie, doch sehr. Die Managementleistung stellt
sich dann als berechenbar heraus. Spannend
wird es, wenn das Forecastingsystem ein höhe-
res Ergebnis prognostiziert, als es der Manager
als machbar einschätzt. Akzeptiert er dann die
„Weisheit“ der Maschine? Sie zu negieren, wie
wir das im Beispiel des Kostenschätzmodells
gesehen haben, ist auf jeden Fall ausgeschlos-
sen, auch wenn der Manager das Zustande-
kommen des maschinellen Forecasts nicht
mehr unmittelbar nachvollziehen kann.
... bis zur Dominanz der Systeme
Mein dritter Fall treibt das Ganze noch mehr in
Richtung Dominanz der Systeme. Er tritt dann
auf, wenn die Algorithmen nicht mehr durch die
Menschen vorgegeben werden, sondern die
Maschinen sie durch Machine Learning und
Künstliche Intelligenz selbst weiterentwickeln.
Was sie auf diesem Wege „ausbrüten“, ist
durch Menschen kaum noch oder sogar nicht
mehr hinterfragbar. Speziell für Controller ist
das wie ein „Gehe zurück zum Start“: Control-
ler stehen für das Bestreben, die Entscheidun-
gen des Managements auf eine analytische
Grundlage zu stellen, sie in die Lage zu verset-
zen, faktenbasiert zu wissen, warum etwas ge-
schehen ist bzw. warum etwas voraussichtlich
geschehen wird. Controller haben die Wirk-
samkeit von Intuition zwar grundsätzlich akzep-
tiert, ihr aber nie wirklich getraut. Zumindest
haben sie versucht, die Intuition analytisch
nachzuvollziehen, wo immer das ging. Ihr Stre-
ben nach Analytik resultierte (und resultiert)
nicht nur daraus, bessere Entscheidungen zu
ermöglichen. Analytik lässt vielmehr auch ein
Lernen im Zuge von Kontrollen zu, wie es auch
zu einer geringeren Abhängigkeit von einzelnen
Menschen führt. Die Parole lautet also: So viel
Intuition wie nötig, so wenig wie möglich!
Die Entwicklung der Computersysteme führt
dazu, dass nach menschlicher Intuition und
„objektiver Analytik“ nun etwas Neues ins Spiel
kommt, das man mit etwas Phantasie als eine
neue Form von Intuition bezeichnen könnte, nur
sind nun nicht mehr die Menschen Quelle nicht
analytischer Lösungsfindung, sondern Maschi-
nen. Menschliche Intuition wird zumeist durch
drei Merkmale gekennzeichnet:
(1) Es handelt sich um einen unbewussten,
nicht der Beobachtung zugänglichen Pro-
zess der Schaffung und des Abrufens von
Wissen.
(2) Der Prozess nutzt Heuristiken und er ist
(3) subjektiv und damit nicht reproduzierbar.
Wir wissen heute nicht, ob KI-Systeme etwas
nutzen, was wir Heuristik nennen können. Die
beiden anderen Merkmale der Intuition treffen
aber ohne Zweifel zu.
Ein Manager arbeitet ungern
mit Instrumenten,
die er nicht kennt.
Kommen wir zum Anfang der Kolumne zurück:
Ein Manager arbeitet ungern mit Instrumenten,
die er nicht kennt. Er akzeptiert keine Black box
– schon aus Gründen der Managerhaftung
nicht. Es wird sehr spannend sein zu sehen, ob
diese bisherige empirische Erfahrung auch in
der Zukunft noch gelten wird und wie sich der
Gesetzgeber zu diesem Thema stellen wird.
Lange werden wir auf Antworten auf diese Fra-
ge vermutlich aber nicht warten müssen. Es
geht wahrscheinlich schneller, als wir denken.
Erste Fälle gibt es schon, etwa wenn die Stim-
me eines Computersystems neben mensch­
lichen Voten in die Waagschale geworfen wird.
Die Bedeutung für die Gestaltung der Unter-
nehmenssteuerung ist kaum zu überschätzen.
Auf jeden Fall lohnt es sich deshalb, schon jetzt
darüber nachzudenken!
Autor
Prof. Dr. Dr. h. c. Jürgen Weber
ist Direktor des Instituts für Management und Controlling (IMC)
der WHU – Otto Beisheim School of Management, Campus Val-
lendar, Burgplatz 2, D-56179 Vallendar. Er ist zudem Vorsitzen-
der des Kuratoriums des Internationalen Controller Vereins (ICV).
E-Mail:
CM Juli / August 2019
1...,57,58,59,60,61,62,63,64,65,66 68,69,70,71,72,73,74,75,76,77,...116
Powered by FlippingBook