CONTROLLER Magazin 5/2018 - page 32

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das Controlling nicht aufhören, seine Rolle als
„kritischer Freund“, Ideenstrukturierer und ko-
ordinierende Rationalitätsinstanz wahrzuneh-
men. Das Controlling würde dem Unternehmen
einen Bärendienst erweisen, wenn es dem
Druck auf schnelle Umsetzung nachgibt, ohne
vorab strategische Leitplanken und Priorisie-
rungen einzufordern. Wie bei allen anderen
Themen sollte eine unternehmenspassgenaue
und ganzheitliche Strategie punktuellen Um-
setzungen vorgeschaltet sein. Nicht nur die ak-
tuell häufig inkonsistenten und isolierten Um-
setzungen unter dem Diktat der „quick wins“
fordern einen hohen personellen und monetären
Einsatz, auch das Beseitigen des entstehenden
IT-Flickenteppichs nach dem Digitalisierungs-
hype wird unseres Erachtens zu enormem Auf-
wand führen.
2. IT-Push vs. Business-Pull
Die wichtige Rolle der IT in Unternehmen heute
und in der Zukunft ist unbestritten. Im Digitali-
sierungsprozess ist die IT aber nicht nur Erfül-
lungsgehilfe bzw. Dienstleister, sondern auch
Profiteur. Die neuen technischen Möglichkeiten
und deren nahezu ungebremste Nachfrage ver-
schaffen den Unternehmen milliardenschwere
Umsätze. Fast täglich werden neue Ausprägun-
gen bekannt und als zukunftsweisend in den
Markt gedrückt. Die Branche handelt hier –
vorsichtig formuliert – sicher nicht ganz unei-
gennützig. Die daraus resultierenden Empfeh-
lungen sind interessengeleitet. Unternehmen
fühlen sich dadurch häufig stark unter Druck
gesetzt und wollen schnellstmöglich „digitali-
sieren“, um keine Wettbewerbsvorteile zu ver-
spielen. So werden seitens der Unternehmen
große personelle und monetäre Ressourcen
investiert. Häufig sollen sich ad hoc initiierte,
interne Projektgruppen („DigiFit“) mit dem
‚Thema auseinandersetzen. Bekanntermaßen
ist der Einsatz von Ressourcen jedoch eine
„entweder-oder“-Frage. Die im Bereich der
Digitalisierung eingesetzten Mittel werden ver-
meintlich weniger wichtigen Themen entzogen.
Der digitale Transformationsprozess ist unum-
kehrbar, aber ist es richtig, diesem Thema alles
bedingungslos unterzuordnen? Welcher Nutzen
ist vom „Real Time Reporting“, einer hohen
„User Experience“ und von „Big-Data-Analy-
sen“ und „Business Analytics“ zu erwarten?
Mehr-Namigkeit und Mehr-Deutigkeit ist nicht
nur aus akademischer Sicht problematisch.
Stellen Sie sich vor, jeder Arzt würde einem be-
stimmten Krankheitsbild eine andere Bezeich-
nung geben. Die Zusammenarbeit von ver-
schiedenen Fachärzten zur Entwicklung eines
Gegenmittels und die Prognose von Zukunfts-
entwicklungen dieser Krankheit wären nahezu
unmöglich. An dieser Stelle ist nicht der Platz
für umfangreiche semantische Erörterungen
(vgl. hierzu etwa Mertens/Barbian/Baier 2017,
S. 35ff.), aber unseres Erachtens erschweren
die verschiedenen Inhalte des Begriffs „Digita-
lisierung“ und Bezeichnungen dessen, was
unter Digitalisierung verstanden wird, eine
gemeinsame, inhaltsreiche Diskussion und
Folgeabschätzung.
Digitalisierung wird oft punktuell
bearbeitet
Zudem beobachten wir, dass Digitalisierung
von den Unternehmen häufig punktuell und iso-
liert bearbeitet wird („Hauptsache Fortschritte
in der Digitalisierung“). Unter vermeintlichem
Druck und Zugzwang wird in den Unternehmen
gehandelt, ohne jedoch zu berücksichtigen,
dass punktuelle Umsetzungen organisatori-
sches Chaos verursachen und eine stark ver-
wilderte IT-Landschaft erzeugen. Darüber hin-
aus herrschen schnelle Innovationszyklen mit
diversen Technologien am Markt. Es ist weitge-
hend unklar, welche sich durchsetzen wird.
Noch während der Umsetzung gibt es häufig
verbesserte oder neue Lösungen am Markt.
Das aktuelle Verhalten vieler Unternehmen
gleicht oft dem Versuch, einzelne Fische im
Wasser mit bloßer Hand greifen zu wollen, ohne
sich vorab über Schwarmverhalten, Fangtech-
niken und der Frage, was man mit dem Fisch
eigentlich machen möchte, Gedanken zu ma-
chen. Wie könnten alternative Wege aussehen?
Auch die Digitalisierung strategisch
anpacken
Der Trend zu mehr Automation ist unseres Er-
achtens unumgänglich. Jedoch sind Zeitdruck
und die daraus resultierende „Aktionitis“ die
Feinde eines reflektierten Umgangs mit einer
Situation. Im Bereich der Digitalisierung darf
Das Interesse in Wissenschaft und Praxis an
der Digitalisierung ist nicht unberechtigt, da
den Unternehmen zweifelsohne enorme Poten-
ziale durch Digitalisierung entstehen. Beispiel-
haft seien hier nur Schlagworte wie „Machine
Learning“ und „Cloud Computing“ genannt. Bei
dem „Machine Learning“ kann sich durch eine
automatische Korrektur von Rechnungsdaten
die manuelle Korrektur durch Sachbearbeiter
nahezu gänzlich erübrigen. Dies kann Zeit- und
Kostenvorteile schaffen. „Cloud Computing“
kann u. a. eine reibungslosere vertikale Koope-
ration verschiedener Unternehmen entlang der
Wertschöpfungskette unterstützen und somit
Transaktionskosten verringern. Es ist aber auf-
fällig, dass – obwohl Potenziale und Vorteile der
Digitalisierung durchaus erkennbar sind – eine
kritische Auseinandersetzung mit dem Thema
nur selten stattfindet. Wer kritisch reflektiert,
wird häufig als gefährlicher Fortschrittsverwei-
gerer abgekanzelt. Stattdessen gilt übergrei-
fend, jetzt, sofort und um jeden Preis digitalisie-
ren zu müssen. Eine Erörterung etwaiger nega-
tiver Auswirkungen wird anderen Disziplinen,
wie etwa den Geisteswissenschaften oder der
Volkswirtschaftslehre, überlassen. Dort werden
Debatten über die dunkle, menschenleere Fab-
rik und deren Implikationen für den Arbeits-
markt sowie die sich daraus ergebenden ge-
sellschaftlichen Konsequenzen geführt.
Im Folgenden wollen wir in bester Controlling-
manier eine kritische Reflektion des aktuellen
Digitalisierungstreibens vornehmen. Hierzu be-
schränken wir uns auf
drei Aspekte
.
1. Digitalisierungsverständnis
und Strategiebezug
Die organisatorische Positionierung und die
Auswirkungen der Digitalisierung auf Unterneh-
men sind noch weitgehend unklar. Als proble-
matisch erweist sich hierbei, dass das Digitali-
sierungsverständnis völlig unterschiedlich ist.
Ein Unternehmen versteht darunter Initiativen
wie das „papierlose Büro“, bei einem anderen
findet man derart gelagerte Themen überhaupt
nicht auf der Agenda der Digitalisierungspro-
jektteams. Darüber hinaus gibt es momentan
eine Vielzahl voneinander abhängiger und unab-
hängiger Ausprägungen, die unter dem Begriff
„Digitalisierung“ subsumiert werden. Diese
Controlling im Digitalisierungswahn?
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