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ermöglicht die Cloud
aber nicht nur neue Ge-
schäftsmodelle, sondern auch die Optimierung
von bestehenden Modellen. Wenn dieser schon
beschriebene Wandel verstanden ist – also, wie
schon gesagt, die Sichtweise auf Komponen-
ten, Datenverfügbarkeit und damit auch auf
eine neue Transparenz
–, dann wird sich
auch das Bewusstsein ändern, damit umzuge-
hen. Die 4 bis 5 Generationen, die sich gerade
mit solchen Themen beschäftigen, sind immer
noch nach Plänen ausgebildet, die seit Jahr-
zehnten existieren. Wir müssen unsere DNA auf
die neuen Gegebenheiten abstimmen.
Biel:
Die Staatsministerin für Digitales, Doro-
thee Bär, fordert zum Zeitpunkt unseres Dia-
logs „mehr Tempo bei der Digitalisierung von
Behörden und Unternehmen“, ihr gehe es viel,
viel zu langsam. Einer meiner letzten Interview-
partner, Prof. Dr. Seiter, stellte u. a. fest: „Wir
müssen die Phase hinter uns lassen, in denen
Controllern von allen Seiten erzählt wird, wie
wichtig es ist, sich mit den Möglichkeiten der
Digitalisierung (...), zu befassen.“ Vielmehr
müsste die Digitalisierung zunehmend in das
tägliche Geschäft einfließen.
Wo stehen wir
nach Ihrer Sachkenntnis bei der Digitalisierung
tatsächlich?
Schell:
Ich vergleiche die derzeitige Situation in
Deutschland gern mit Andersens Märchen
„Des Kaisers neue Kleider“: Wir brüsten uns
mit dem Erreichten, glauben uns selbst, dass
es gut gehen wird,
laufen aber faktisch
schon hinterher
. Digitalisierung, die Neu-Auf-
stellung des Standortes Deutschland ist eine
ganzheitliche Aufstellung. Solange wir unter-
schiedliche Landesinteressen vertreten und
uns damit Türen verschließen, – zum Beispiel
beim Thema Bildung oder Energienetze – und
nicht heute schon über die Bauweise modularer
Parkhäuser nachdenken, die aufgrund auto-
nomer, verbundener Verkehrsmittel nicht mehr
benötigt werden und damit in Wohnraum um-
gebaut werden könnten, stehen wir nur am An-
fang. Wir müssen jetzt agieren, sonst werden
wir noch weiter ins Hintertreffen geraten.
Biel:
Sie fordern den Blick nach vorne und
mahnen Veränderungsbereitschaft an?
Stockrahm:
Das kann ich nur unterschreiben.
Wir sind schon hintendran, weil wir uns dem
Stockrahm:
Wir müssen uns mit den Szena-
rien offen beschäftigen und die Vorbereitungen
und den Transfer in eine Zukunftsgesellschaft
heute angehen. Die nächsten Jahre werden wir
genug mit dem Transfer zu tun haben. Heute
existierende Gewohnheiten wie die, Produkte
oder Services zu kaufen – versus sie zu teilen –
werden außerdem noch einige Zeit anhalten. Es
geht um die Generation der in 2018 Gebore-
nen: Deren Welt wird anders sein.
Biel:
Sehen Sie auch hier inmitten der vielen
Problematiken ein Chancenpotenzial?
Schocke:
Ja, auch bei diesem Punkt sei ange-
merkt, dass
die Digitalisierung auch neue
Chancen bringen wird
. Wir werden ganz neue
Berufe, Berufsfelder, Berufsanforderungen se-
hen. Und das schlägt direkt auf unser Bildungs-
system durch. Wir werden ganz neue Berufs-
ausbildungen und Studienfächer benötigen. An
genau dieser Stelle müssen wir anpacken, das
Thema Digitalisierung nicht zu verteufeln, son-
dern als gegeben zu akzeptieren und die be-
sagten Chancen zu sehen. Wenn wir auf den
„alten“ Berufsbildern verharren, auf den „veral-
teten“ Ausbildungswegen stehen bleiben, dann
werden wir die neue Generation nicht fit für die
Zukunft bekommen und wir alle werden letzt-
endlich verlieren.
Biel:
Damit verändern sich die materiellen, ins-
titutionellen und personellen Grundlagen unse-
rer arbeitsteiligen Wirtschaft. Der notwendige
wirtschaftliche und organisatorische Unterbau
ist neu zu gestalten? Wie sehen Sie z. B. die
Cloud?
Stockrahm:
Keine Frage, in der Infrastruktur
muss ein Umdenken stattfinden. Aber das gilt
auch für den Umgang mit Technologie. Der Be-
griff Cloud bringt einige zum Kopfschütteln, die
seit Jahren ihr Hosting outsourcen. Letztendlich
zum Beispiel im Umgang mit Eigentumsrechten
in verteilten Plattformen. Das bedeutet aller-
dings, dass wir solche Regeln auch permanent
anpassen müssen. Es ergibt definitiv keinen
Sinn, krampfhaft an Gesetzesvorlagen aus
2006 festzuhalten und diese umzusetzen –
wohl wissend, dass wir heute ganz andere, da-
mals noch nicht abschätzbare Voraussetzun-
gen hatten. Im Prinzip muss das Thema über
eine Governance-Struktur abgewickelt werden,
die international anerkannt ist, aber auch weiß,
wovon sie redet.
Biel:
Verbände und Institute, etwa der IT-Ver-
band Bitkom, das Institut der Deutschen Wirt-
schaft oder das Institut für Arbeitsmarkt und
Berufsforschung, treten regelmäßig mit unter-
schiedlichen Prognosen an die Öffentlichkeit.
Wir stehen offenbar in Wirtschaft, Politik und
Gesellschaft vor enormen Aufgaben, die uns
fordern. Haben wir also auch vielfältigen An-
lass, entsprechend tätig zu werden?
Schocke:
Wir wissen, dass wir 2050 deutlich
mehr Menschen auf der Erde sein werden,
dass wir anders mit Ressourcen umgehen
müssen, die Sozialverteilung anders ansetzen.
Wir müssen jetzt anfangen, diese Themen zu
projizieren und daraus Empfehlungen zu gene-
rieren. Wenn wir mit dem 3D-Druck Ausschuss
verhindern, weil die Materialien zu 100% effi-
zient genutzt werden, müssen wir auf der an-
deren Seite auch diskutieren,
wie Abgaben in
die Gesellschaft und nicht nur in Unterneh-
mensinteressen gehen
. Wer glaubt, dass um
intelligente 3-D-Drucker immer noch x Mecha-
niker laufen, die alle auf ihren Einsatz warten,
liegt falsch.
Biel:
Was bedeutet dies für unsere zukunfts-
gerichtete Ausrichtung? Was müssen wir tun,
um nicht in die Defensive zu geraten?
Autor
Fachjournalist (DFJS) Dipl.-BW Alfred Biel
ist Autor, Interviewer und Rezensent verschiedener Medien,
mit reichhaltiger Erfahrung aus verantwortlichen Konzern-Tä-
tigkeiten und Aufgaben in mittelständischen Unternehmen. Be-
triebswirtschaftliches und journalistisches Studium. Ehrenmit-
glied des Deutschen Fachjournalisten Verbandes (DFJV) und
des Internationalen Controller Vereins (ICV).
E-Mail:
CM September / Oktober 2018