Contoller Magazin 3/2018 - page 25

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Angesichts der guten Arbeitsmarktlage erwar-
ten viele Arbeitnehmer steigende Gehälter und
Löhne. Das gilt allerdings nicht nur für den
Bruttolohn, sondern auch für den Nettolohn
und insbesondere die Kaufkraft. Unternehmen
tun gut daran, sich auf die Forderungen einzu-
stellen. Die Kaufkraft der Mitarbeiter wird von
einer Kombination aus hohen Grenzabgaben-
quoten (für Steuern und Sozialabgaben) und
der Inflation bedroht, was als kalte Progression
bezeichnet wird. Die folgende Abbildung 1 zeigt
die Effekte. Die Bruttolohnerhöhung (in Zeile 1)
gleicht auf den ersten Blick die Kaufkraftverlus-
te durch die Inflation aus, was aus Sicht der
Mitarbeiter eine Mindestanforderung ist, da sie
sich nicht bezüglich ihrer Kaufkraft verschlech-
tern wollen. Allerdings erzeugen die zusätzli-
chen Gehaltsbestandteile überproportional
hohe Abzüge. Im Beispiel sind 60% als Grenz-
abgabenquote (Grenzsteuersatz + Sozialabga-
ben) angenommen. Dadurch steigt das Netto-
gehalt nur um 1,3%. Somit sinkt die Kaufkraft
um 0,7 % trotz der Bruttolohnerhöhung. Der
lachende Dritte ist der Staat, der sich über 3%
mehr Abgaben freuen kann und noch behaup-
tet, man habe die Steuern nicht erhöht ...
Die Ursache für dieses Problem liegt im deut-
schen progressiven Steuertarif, der schon ab
54,058 € (2017) zu versteuernden Einkom-
men von jedem zusätzlichen Einkommenseu-
ro 42% plus darauf 5,5% Solidaritätsabgabe
= 44,31% fordert. Dazu kommen die Sozial-
abgaben des Arbeitnehmers von ca. 20 %
(wofür es allerdings eine etwas höhere Rente
geben könnte). Wenn die Arbeitgeber die
nachvollziehbare Forderung der Mitarbeiter
zur Aufrechterhaltung ihrer Kaufkraft umset-
zen wollen, müssen sie im Beispiel eine Erhö-
hung von 3,0% geben, weil dann nach Abzug
der 60% ein Nettozuwachs von 1,2% übrig-
bleibt, was genau dem Anstieg der Kosten für
den identischen Warenkorb entspricht. Damit
muss die kaufkraftneutrale Lohnerhöhung
50 % höher sein, was für den Arbeitgeber
nicht sehr günstig ist. Insofern stellt sich die
Frage, wie der Arbeitgeber seinen Mitarbeiter
begünstigen kann, ohne dass die Kosten zu
hoch werden.
Die Antwort lässt sich in einigen Fällen in sol-
chen Leistungen finden, die entweder gar nicht
oder geringer versteuert werden. Sie müssen
zusätzlich gewährt werden. Beispiele sind:
·
Kinderbetreuungskosten (ohne Obergrenze)
·
Dienstwagen mit der Möglichkeit
zur Privatnutzung
·
Geschenke z. B. am Geburtstag oder zur
Hochzeit bis zu einem Wert von 60 €
·
Sachzuwendungen bis 44 €/Monat
(Tankgutschein, ÖPNV-Ticket usw.)
·
Überlassung von PCs, Smartphones, Tablets
·
Gesundheitsförderung bis zu 500 €/a.
·
usw.
Aber trotz dieser Möglichkeiten leidet insb. der
Mittelstand unter der kalten Progression. Dazu
im Gegensatz ist der Effekt bei sehr gut verdie-
nenden Personen deutlich geringer, weil ihre
Grenzabgabenquote nur 47,48% beträgt, da ab
bestimmten Grenzen keine Sozialversicherungs-
beiträge mehr anfallen.
Autor
Prof. Dr. Peter Hoberg
lehrt als Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Fach-
hochschule Worms. Auf Basis einer 15-jährigen Erfahrung in in-
ternationalen Unternehmen beschäftigt er sich insb. mit Themen
des Controllings und der Investitionsrechnung. Schwerpunkt
seines Interesses ist die Verbindung von Theorie und Praxis.
E-Mail:
Am Rande bemerkt:
Kalte Progression und
Entlohnungspolitik
von Peter Hoberg
Abb. 1: Effekte des Kaufkraftverlustes
CM Mai / Juni 2018
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