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stellt dann
keinen sinnvollen Zusammen-
hang
mehr dar. Stattdessen muss nunmehr in
der Analyse festgestellt werden,
ob die Abwei-
chung auf bekannte Risiken zurückzufüh-
ren ist.
Falls dies nicht der Fall ist, wurde ein
neues Risiko erkannt und ist in der zukünftigen
Planung zu berücksichtigen. Falls die Abwei-
chung auf ein bekanntes Risiko zurückzuführen
ist, ist die Planung adäquat. Es sind jedoch
die
zugrunde gelegten Wahrscheinlichkeiten
zu hinterfragen
.
Dieser Prozess wird durch die beobachtbaren
Trends in Richtung „Industrie 4.0“ noch ver-
stärkt. Selbst wenn in den meisten Unterneh-
men der Einsatz mit sich selbst kommunizieren-
der „cyber-physischer Systeme“ (Internet der
Dinge) noch in weiter Ferne scheint, werden die
Prozesse im sogenannten Shopfloor (Ferti-
gungsbereich; engl. Bezeichnung für „Werk-
statt“) bereits heute zunehmend dezentral und
eigenständig organisiert. Die gegenseitigen
Verflechtungen im Unternehmen erfolgen auf
dieser Basis situationsgerecht und folgen kei-
nen „linearen Planberechnungen“. Die realen
Prozesse verlaufen stochastisch.
Wenn Ziel-
setzung, Planung und Steuerung dem nicht
ausreichend Rechnung tragen, laufen sie
zunehmend Gefahr, sich vom Leben in den
Unternehmen abzukoppeln.
Es ist also an der Zeit, dass Controller sich
die modernen Methoden des Risiko-Mana-
gements zu Eigen machen.
Risiko-Management
und Geschäftsmodell
Um es nochmal deutlich zu machen: beim mo-
dernen Risiko-Management geht es weniger
um die bisher beschriebenen Erfassungen,
Analysen und Berichte. Diese bilden lediglich
das notwendige Fundament für die moderne
Wertorientierung. Die entscheidende Aufgabe
besteht darin zu lernen,
die spezifischen Wir-
kungen der Risiken und Volatilitäten auf
das Geschäftsmodell des Unternehmens zu
verstehen und besser damit umzugehen
als der Wettbewerb:
·
Trainieren der
Widerstandfähigkeit
des Geschäfts gegen unerwartete Schwan-
kungen und Ereignisse (
Resilienz
),
·
Entwickeln von Fähigkeiten, auf kurzfristige
Marktschwankungen in den eigenen Ge-
schäftsfeldern rasch zu reagieren (
Agility
),
·
Ausbau der strategischen Bereitschaft, sich
rechtzeitig an strukturelle Marktveränderun-
gen anzupassen (
Adaptability
),
·
Stärkung von Kraft und Mut, dezentrale glo-
bale Unternehmensstrukturen – das Geschäft
„vor Ort“ – zielgerichtet zu koordinieren und
deren Kräfte zu bündeln (
Alignment
).
Die Lufthansa hat nicht nur eine aussagefähige
Breitbandplanung implementiert, sondern in
den letzten 10 Jahren systematisch von allen
Führungskräften flexible Planvarianten erarbei-
ten lassen. Dadurch waren sie vorbereitet,
wenn unerwartete Veränderungen im prakti-
schen Alltag ihres Geschäftes eingetreten sind.
Die Breitbandplanung hat „nur“ das Instrumen-
tarium für die Einschätzung der Schwankungs-
breite und das systematische Beobachten der
wesentlichen Einflussfaktoren verbessert. Ein
anderes Beispiel: Ein Unternehmen aus dem
Automotive-Sektor hat in Auswertung der Tur-
bulenzen 2008/2009 sein Schichtsystem flexi-
bilisiert und mit dem Betriebsrat gemeinsam 12
verschiedene Varianten erarbeitet, die inner-
halb weniger Stunden in Kraft gesetzt werden
können, um schnell auf Schwankungen reagie-
ren zu können. Auch in diesem Fall wurden die
wesentlichen Risiko-Faktoren definiert, deren
Entwicklung durch geeignete Instrumente sys-
tematisch beobachtet wird.
„Volatilität, beschleunigter Wandel und Kom-
plexität sind zum ‚New-Normal‘ geworden
und werden sich aller Voraussicht weiter ver-
stärken. Ein derartiges Umfeld wird von allen
Beteiligten höhere Flexibilität und Reaktions-
fähigkeit, sowie ein ganzheitlicheres Füh-
rungsverständnis verlangen. Die Triple A –
Agility, Adaptability und Alignment werden
dabei drei entscheidende Fähigkeiten sein.
Gleichzeitig wird mit der steigenden Dynamik
und Unsicherheit (richtiges) Controlling nicht
obsolet oder unmöglich, sondern wichtiger
denn je. Erfolgreiche Unternehmen überlas-
sen die Zukunft auch in einem zunehmend
komplexeren Umfeld nicht dem Zufall und
schon gar nicht dem Mitbewerb. Dazu ist
jedoch ein neues, realistisches Planungs-
und Führungsverständnis aller Beteiligten
erforderlich. Es gilt, durch eine ganzheitliche
Betrachtungsweise und das Gegenüberstel-
len möglicher Entwicklungen, Gesamtzu-
sammenhänge und Trends zu erkennen und
die durch den beschleunigten strukturellen
Wandel entstehenden Chancen zu nutzen.
5
“
Fazit
Risiken gehören zu unternehmerischem Wirt-
schaften seit es Unternehmen gibt. Ein syste-
matisches Risiko-Management hat sich jedoch
erst in den letzten 20 Jahren herausgebildet.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass Komplexität
und Volatilität der wirtschaftlichen Prozesse zur
Normalität geworden sind. Darauf muss sich
das Controlling einstellen. Moderne Wertorien-
tierung blickt dabei auf jene „Handvoll“ Risiken,
die für das Geschäftsmodell des Unternehmens
maßgeblich sind. Diese sind in eine systemati-
sche Beobachtung und statistische Auswertung
unter Nutzung aller relevanten Daten einzubin-
den. Die daraus gezogenen Schlussfolgerungen
und eingeleiteten Maßnahmen und die Verände-
rungen in der Zielsetzung, Planung und Steue-
rung werden das Risiko-Management enger mit
dem Controlling verzahnen und die Unterneh-
men widerstandfähiger gegen unerwartete Ver-
änderungen aufstellen. Risiken und Chancen
liegen dabei wie für das Unternehmen auch für
den Controller-Service dicht beieinander. Cont-
roller sollten sich der engeren Verzahnung mit
dem Risiko-Management und seinen stochasti-
schen Methoden stellen und sich das nötige
Rüstzeug aneignen. Sonst laufen sie Gefahr,
ihre Kompetenz abgeben zu müssen. Metho-
disch gut ausgebildete Data Scientists stehen in
den Startlöchern, die Aufgaben zu übernehmen.
Fußnoten
1
Der Beitrag ist teilweise dem im Rahmen der
ICV-Publikationsreihe erschienenen Leitfaden
„Moderne Wertorientierung“ entnommen.
2
Gleißner, W. (2015), S. 100.
3
Vgl. im Detail Gleißner, W. (2010): Der Einfluss
der Insolvenzwahrscheinlichkeit (Rating) auf den
Unternehmenswert und die Eigenkapitalkosten.
In: Corporate Finance 3 / 2010, S. 243-251.
5
Losbichler, H. (2012): Triple A Controlling –
Die Unternehmenssteuerung; in: Controller Ma-
gazin, 05/2012, VCW, S. 9.
Moderne Wertorientierung