42
          
        
        
          
            Problemfeld 1: Die Notwendigkeit
          
        
        
          
            und Dringlichkeit des Wandels
          
        
        
          
            wird nicht frühzeitig erkannt
          
        
        
          
            bzw. nicht breit und konsequent
          
        
        
          
            ins Unternehmen transportiert
          
        
        
          Individuen und Organisationen tun sich in aller
        
        
          Regel schwer, einen gegebenen Status quo zu
        
        
          verlassen. Noch schwieriger ist dies, wenn die
        
        
          Notwendigkeit des Wandels noch nicht präsent
        
        
          ist, sondern die Ursache eher als ein schwer
        
        
          greifbares „… es könnte vielleicht in der Zu-
        
        
          kunft sein, dass …“ umschrieben werden
        
        
          muss. Wie schafft man es als Führungskraft in
        
        
          dieser Situation, sich selbst und die Mitarbeiter
        
        
          aus der „analogen Komfortzone“ zu bringen
        
        
          und den Wandel zu initiieren? Einfach Abwar-
        
        
          ten, bis genug hoher wirtschaftlicher Druck
        
        
          sichtbar wird?
        
        
          Eine „Burning Platform“, also eine Notsituation,
        
        
          in welcher der Überlebensinstinkt zwingt, die
        
        
          Komfortzone zu verlassen, baut am einfachs-
        
        
          ten Momentum auf, um radikale Veränderun-
        
        
          gen anzugehen.
        
        
          Die Belegschaft wird quasi
        
        
          zur Veränderung gezwungen und ist eher
        
        
          bereit, auch schmerzhafte Einschnitte hin-
        
        
          zunehmen.
        
        
          Jedoch ist das Risiko ein bereits
        
        
          eingeschränkter Handlungsrahmen, der es
        
        
          möglicherweise zwar erlaubt, Veränderungen
        
        
          zu „überleben“, aber selten ermöglicht, sie als
        
        
          Chance zu nutzen. Der Niedergang von
        
        
          KarstadtQuelle ist in mehrfacher Hinsicht ein
        
        
          Beispiel für reaktives Handeln. Sanierungsrun-
        
        
          de folgt auf Sanierungsrunde. Immer neue
        
        
          CEOs und Eigentümer sollten als Heilsbringer
        
        
          und Retter den Turnaround schaffen. Bemer-
        
        
          kenswert ist dabei, dass das Unternehmen mit
        
        
          seinem frühzeitigen Einstieg im Internet sogar
        
        
          gute Chancen gehabt hätte, hier eine führende
        
        
          Rolle zu spielen.
        
        
          So berichtete die Computerwoche in einem Arti-
        
        
          kel vom 31.8.2001, dass der Konzern seinen E-
        
        
          Commerce Umsatz im ersten Halbjahr 2001 um
        
        
          125 Prozent auf 356 Millionen Euro steigern
        
        
          konnte. Als Ziel für das Gesamtjahr wurden da-
        
        
          mals mehr als 700 Millionen Euro avisiert. Wer
        
        
          allerdings glaubt, dass dies dazu geführt hat,
        
        
          den digitalen Hebel auf Vollgas zu stellen und
        
        
          den stationären Handel systematisch zu reduzie-
        
        
          ren, wird von der deutschen Wirtschaftsge-
        
        
          schichte eines Besseren belehrt. Trotz dieser –
        
        
          selbst im heutigen Vergleich mit Zalando – at-
        
        
          traktiven Umsatzgröße kam das damalige
        
        
          Karstadt Quelle Management zum Schluss, dass
        
        
          „für das Warenhaus […] das Internet ein Marke-
        
        
          ting-Instrument und kein Umsatzbringer“ ist und
        
        
          setzte entsprechend „wenig Hoffnung ins Web“.
        
        
          Hier zeigt sich deutlich, dass es bei diskontinu-
        
        
          ierlichen Veränderungen auch eines weitrei-
        
        
          chenden Umbaus des organisationalen Selbst-
        
        
          verständnisses und damit des mentalen Mo-
        
        
          dells des einzelnen Individuums im Unterneh-
        
        
          men bedarf.
        
        
          Dieser Wandel kostet aber Zeit
        
        
          und bedarf eines positiven Umfeldes.
        
        
          Zu
        
        
          hoher zeitlicher und wirtschaftlicher Druck ist
        
        
          hier kontraproduktiv. Denn einerseits sorgt ein
        
        
          negatives Umfeld für paralysierte Mitarbeiter.
        
        
          Die Kreativität, die es zum Umbau bestehender
        
        
          bzw. zur Entwicklung neuer Geschäftsmodelle
        
        
          braucht, bleibt zwangsläufig auf der Strecke.
        
        
          Die besten Köpfe haben das Unternehmen oft
        
        
          bereits schon verlassen. Andererseits limitieren
        
        
          knappe Budgets den Spielraum für neue, zu-
        
        
          kunftsgerichtete Investitionsprojekte.
        
        
          Man ar-
        
        
          beitet mit halbgaren Kompromisslösungen
        
        
          und spart sich zu Tode.
        
        
          Wer fertig sein will, bevor der Wettbewerbs-
        
        
          druck zu groß wird,
        
        
          muss frühzeitig anfan-
        
        
          gen
        
        
          , denn sonst kann – wie dies der Nürnber-
        
        
          ger Betriebswirt Professor Werner Pfeiffer einst
        
        
          postulierte – „Abwarten die Zukunft kosten“.
        
        
          Rechtzeitig und mit Nachdruck das Gefühl
        
        
          für die Notwendigkeit der Veränderung zu
        
        
          erzeugen
        
        
          , ohne dabei gleichzeitig zu viel Angst
        
        
          und große Unsicherheit bei den Stakeholdern
        
        
          auszulösen, ist conditio sine qua non für das
        
        
          Topmanagement. Es ist einiges an Fingerspit-
        
        
          zengefühl gefragt, denn wer zu häufig Feuer
        
        
          ruft, ohne dass es brennt, wird irgendwann
        
        
          nicht mehr gehört – selbst wenn das Haus tat-
        
        
          sächlich lichterloh in Flammen steht.
        
        
          
            Problemfeld 2: Es wird keine
          
        
        
          
            starke Führungskoalition auf-
          
        
        
          
            gebaut, die für den digitalen
          
        
        
          
            Wandel steht und diesen treibt
          
        
        
          Ohne eine starke „Guiding Coalition“ im Unter-
        
        
          nehmen sind Transformationsprozesse von Be-
        
        
          ginn an zum Scheitern verurteilt. Wiederstrei-
        
        
          tende Interessenlage im Topmanagement, wie
        
        
          in einem anderen Kontext vor gut einem Jahr-
        
        
          zehnt der Fall Winterkorn/Pischetsrieder im VW
        
        
          Konzern zeigte, lähmen das Unternehmen und
        
        
          sorgen für Lagerbildung quer durch die Beleg-
        
        
          schaft. Nicht nur in der digitalen Transformation
        
        
          muss der CEO stets der Ausgangspunkt und
        
        
          Treiber der Veränderungen sein und das Top-
        
        
          management aus einem Guss agieren.
        
        
          Gisbert Rühl, CEO des Stahlhändlers Klöckner
        
        
          & Co., ist aktuell ein gutes Beispiel für die Kon-
        
        
          sequenz und Sichtbarkeit, mit der digitale
        
        
          Transformationsprozesse vorangetrieben wer-
        
        
          den können. Die konkrete Herausforderung ist
        
        
          in diesem Fall eine erhebliche, denn sowohl bei
        
        
          Klöckner als auch in der Branche der Stahl-
        
        
          und Metalldistribution ist man noch weit davon
        
        
          entfernt, mit technologischen Lösungen zu ar-
        
        
          beiten, die in anderen Branchen bereits Stan-
        
        
          dard sind. Zwar ist heute keinesfalls sicher, ob
        
        
          Klöckner’s Komplettumbau zum Online-Handel
        
        
          letztlich von Erfolg gekrönt sein wird, aber Rühl
        
        
          bringt im Vergleich zu vielen anderen CEO-
        
        
          Kollegen ein wichtiges Asset im Lebenslauf mit.
        
        
          Er hatte bereits CIO- und CFO-Rollen inne.
        
        
          Für den digitalen Wandel muss nämlich sicher-
        
        
          gestellt sein, dass in der Führungsgruppe kein
        
        
          „Disconnect“ zwischen CEO/CFO und CIO/CTO
        
        
          besteht. Die getrennten Denkweisen beider Be-
        
        
          reiche, die Homburg und Jensen als „Thought
        
        
          Worlds“ bezeichnen und die sich häufig im Silo-
        
        
          denken manifestieren, stehen einer engen In-
        
        
          teraktion erheblich entgegen. Immer häufiger
        
        
          ist daher zu beobachten, dass diese Silos auf-
        
        
          gebrochen werden, um die digitale Transforma-
        
        
          tion voranzutreiben. Ingrid-Helen Arnold, CIO
        
        
          und CPO der SAP SE, beispielsweise begann
        
        
          ihre Karriere im Controlling, bevor sie mit der
        
        
          Einführung von Enterprise Analytics Innovatio-
        
        
          nen im Unternehmen betraut wurde. Diese Er-
        
        
          fahrungen mit den Geschäftsprozessen und der
        
        
          Finanzseite des Unternehmens soll sie nun nut-
        
        
          zen, um mit Innovationen die Transformation
        
        
          des Business und die Herausforderungen, die
        
        
          sich daraus für die Unternehmenssteuerung er-
        
        
          geben, anzugehen.
        
        
          Wer als CEO schon auf beiden Seiten des
        
        
          Tisches saß, ist mithin besser gerüstet, die
        
        
          teils gegensätzlichen und wiederstrebenden
        
        
          Interessenlagen zu ordnen. Ob technologisch
        
        
          gesehen nun der CIO oder doch vielleicht eher
        
        
          
            Digitale Transformation als Change Management-Aufgabe