Recruiting
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Viele Unternehmen agieren
so, als gäbe es keinen
Fachkräftemangel und keine
Engpassberufe. Bringt die
Stellenanzeige nicht den
gewünschten Erfolg, schalten
sie einen Personalberater
ein. Die Kosten explodieren,
der Erfolg bleibt dennoch
aus. Viel sinnvoller ist eine
Recruitingstrategie, die je nach
Zielfunktion unterschiedliche
Verantwortlichkeiten und
Vorgehensweisen beschreibt.
Der Recruiter verlässt die
Zehnkämpferrolle. Er berät und
koordiniert.
Früher war es im Recruiting entscheidend, Eignungsdiagnos-
tik zu beherrschen. Es ging vor allem darum, aus der Vielzahl
von Bewerbern die geeigneten Kandidaten auszuwählen. Die
aktuelle Debatte rund um die Frage, was ein Recruiter heu-
te und in Zukunft mitbringen muss, vermittelt hingegen ein
ungleich vielfältigeres und anspruchsvolleres Bild. Demnach
muss der Recruiter der Zukunft nicht nur Eignungsdiagnostik
beherrschen, sondern auch Arbeitgebermarkenbildung, Active
Sourcing, Social Media, Community-Management. Ein Netzwer-
ker mit Vertriebstalent muss er sein, international, empathisch,
nah an der Linie und nah an den Zielgruppen im Arbeitsmarkt.
Umfangreiche Daten muss er intelligent und wissenschaftlich
nutzen können – People Analytics, künstliche Intelligenz und
evidenzbasiertes Entscheiden.
Aus strategischer und praktischer Sicht ist diese Vorstellung
vom Recruiter als omnipotentem Zehnkämpfer unrealistisch
bis irreführend. Was ein Recruiter zu leisten hat, hängt in ers-
ter Linie von den Herausforderungen ab. Insofern sollte ein
Unternehmen zunächst die eigenen Herausforderungen und
Bedarfe priorisieren. Entlang der priorisierten Bedarfe kön-
nen unterschiedliche Recruiting-Szenarien abgeleitet werden.
Diese erfordern wiederum unterschiedliche Maßnahmen, Prio-
ritäten, Verantwortlichkeiten, Ressourcen und entsprechend
unterschiedliche Fertigkeiten der Recruiter. All dies zusammen-
genommen beschreibt am Ende das, was man schlechterdings
als Personalgewinnungsstrategie bezeichnen kann.
Bedarfe und Herausforderungen priorisieren
Am einfachsten erfolgt die Priorisierung der Herausforderungen
in Bezug auf die verschiedenen Zielfunktionen innerhalb eines
Unternehmens, zum Beispiel Produktion, Marketing, Vertrieb et
cetera. In manchen Fällen kann auch eine Differenzierung nach
Jobs, Job-Familien, Rollen und dergleichen sinnvoll sein. Für
diese Funktionen werden nun drei Fragen beantwortet:
• Volumen. Wie hoch sind die quantitativen Bedarfe in den
kommenden Jahren? Hier empfiehlt sich eine sehr grobe
Klassifizierung in drei Kategorien (gering, mittel, groß).
• Verfügbarkeit. Wie verfügbar sind geeignete Kandidaten auf
dem Arbeitsmarkt? Je höher die Verfügbarkeit ist, desto ge-
ringer ist die Herausforderung bei der Personalgewinnung.
• Strategische Relevanz. Wie strategisch relevant ist die Funk-
tion? Funktionen sind dann strategisch relevant, wenn sie
für den Unternehmenserfolg insgesamt von entscheidender
Bedeutung sind. Für solche Schlüsselfunktionen versucht
man international die Besten zu gewinnen und nicht nur
die Geeigneten.
Unterschiedliche Szenarien, unterschiedliche
Aktivitäten
In der Praxis hat es sich bewährt, die verschiedenen Funktionen
in ein Portfolio einzuordnen, in dem die drei eben genannten
Dimensionen abgebildet sind (siehe Abbildung auf Seite 34).
Diese Priorisierung setzt nicht notwendigerweise eine Personal-
planung voraus, wenngleich sie hilfreich wäre. Es geht vielmehr
darum, für bestimmte Fälle vorbereitet zu sein und – sofern sie
eintreten – eine Strategie parat zu haben.