Recruiting
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Ein Personaler kümmerte sich um alles: Stellenanzeigen schal-
ten, Bewerbungen sichten, Vorstellungsgespräche führen und
Arbeitsverträge aufsetzen. So, wie es früher lief, funktioniert das
Recruiting schon längst nicht mehr. Wer heute allein auf Stellen-
anzeigen setzt und alle Kandidatenzielgruppen vom Azubi bis
zur erfahrenen Fachkraft, vom Java-Skript-Programmierer bis
zum Finanzbuchhalter gleich behandelt, kann die benötigten
Leute kaum noch finden. Es ist höchste Zeit, das Recruiting
ganz neu aufzustellen.
Dass sich schon einige Unternehmen auf den Weg in ein zeit-
gemäßes Recruiting gemacht haben, zeigt sich unter anderem
darin, dass das Anschreiben – einst des Personalers liebstes Kind
– vielfach nicht mehr zwingender Bestandteil einer Bewerbung
ist. Nur noch 18 der 50 größten Unternehmen Deutschlands
fordern explizit ein Anschreiben an, ermittelte eine Studie der
Recruiting-Plattform Toledo. Wer zum Beispiel bei der Deutschen
Post DHL Group arbeiten will, muss lediglich seinen Namen an-
geben sowie einen Lebenslauf einreichen. Auch Bosch verlangt
nur den Lebenslauf und will den Wohnort erfahren. BAS fordert
Namen, Telefonnummer und einen CV an.
Diese Arbeitgeber haben erkannt: Nur wenn sie die Schwelle
für die Kandidaten so niedrig wie möglich halten, erhalten sie
in den knappen Berufen ausreichend Bewerbungen. Lediglich
in Berufen, in denen es gilt, aus einer großen Masse an Bewer-
bungen die besten herauszufiltern, ist es – wenn überhaupt –
noch ratsam, Bewerbungsformulare einzusetzen, die aufwendig
ausgefüllt werden müssen. Aber solche „Simple Hiring“-Funk-
tionen werden immer weniger. Heute können sich die meisten
Stellensuchenden ihre Jobs aussuchen – und sie sind sich ihrer
guten Position auf dem Arbeitsmarkt bewusst. So erwarten drei
Viertel der jetzigen Berufsstarter, dass eine mobile Bewerbung
über das Smartphone schon bald Standard sein wird, wie eine
Bewerberumfrage von Talents Connect und der Fachhochschule
Koblenz ermittelte.
Jeder macht alles – im Recruiting funktioniert
das nicht mehr
Doch der Wandel der Bewerbungsprozesse hin zu mobil, schnell
und bewerbernah ist nur ein Aspekt der gesamtheitlichen Ver-
änderungen, die im Recruiting erforderlich sind. Die Mitarbei-
tersuche ist so herausfordernd geworden, dass sie nicht mehr
einheitlich für alle Funktionen und rein reaktiv durchgeführt
werden kann.
Dass sie nicht so weiterarbeiten können wie bisher, sehen mitt-
lerweile sehr viele Unternehmen. Rückgehende Bewerberzahlen,
lange Vakanzzeiten und ein steigender Personalbedarf durch
Verrentungen und Expansionen signalisieren ihnen das. Aber
viele reagieren falsch. Sie führen beispielsweise Active Sourcing
oder Talentpools ein, ohne eine persönliche Kommunikation mit
den Kandidaten aufzubauen. Der erhoffte Erfolg bleibt natürlich
aus. Das liegt auch daran, dass die Recruiter im Unternehmen
das Sourcing und das Talent Relationship Management als Zu-
satzaufgaben mit erledigen.
Jeder macht alles – das kann heute nicht mehr funktionieren.
Wer Active Sourcing richtig betreiben will, braucht die Nähe zu
seiner Zielgruppe. Er muss die Sprache der Kandidaten sprechen
und mit ihnen auf einer Ebene kommunizieren können. Darüber
hinaus müssen die Recruiter die Bedürfnisse ihrer Fachbereiche
kennen, die Hiring Manager beraten und begleiten. Und sie
müssen unbedingt den Rückhalt in ihrer Geschäftsleitung einfor-
dern, denn erfolgreiche Personalgewinnung verlangt manchmal
auch ungewöhnliche Maßnahmen, schnelle Entscheidungen
oder strukturelle Veränderungen.
Nahe am Puls der Zielgruppe und ein offenes
Ohr in der Geschäftsleitung
Ein gutes Beispiel für unkonventionelle Lösungen, die durch
die Geschäftsleitung mitgetragen werden, nennt Tobias Ortner,
Leiter Recruiting und Personalmarketing beim Automobilzu-
lieferer BFFT Gesellschaft für Fahrzeugtechnik in Ingolstadt:
„Wir haben für eine Abteilung rekrutiert und festgestellt, dass
die Zielgruppe nicht zu uns nach Ingolstadt kommt. Aber wir
fanden einen großen Pool an Kandidaten in der Nähe. Also
haben wir uns an die Geschäftsführung gewandt.“ Im Dialog
mit der Unternehmensleitung wurde dann beschlossen, einen
Standort dort zu eröffnen, wo die gesuchten Leute verfügbar
waren, und das Gewerk an diesem Standort abzuarbeiten. Das ist
nur möglich, wenn das Recruiting nahe am Puls der Zielgruppe
ist und wenn die Recruiter gleichzeitig auf offene Ohren in der
Geschäftsleitung stoßen.
Von einem weiteren, ganz ähnlichen Beispiel berichtet Jan
Hawliczek, der heute als Trainer, Consultant und Speaker tätig
ist und früher bei BFFT als stellvertretender Abteilungsleiter
Recruiting und Personalmarketing arbeitete: „Wir rekrutierten
ein Team in Ungarn, weil wir gesehen haben, dass dort passende
Leute sitzen.“ Um diese zu integrieren, wurde nach Rücksprache
mit der Geschäftsführung ein ungarisches Unternehmen gegrün-
det. „Der Start war zwar holprig, aber heute läuft es besser denn
je“, blickt Ortner zurück. Sein Fazit: „Ein Recruiter muss sich
auch trauen, diese Themen anzustoßen. Wenn die Geschäfts-
leitung nicht offen dafür ist, muss ich mir ernsthaft überlegen,
ob ich im richtigen Unternehmen arbeite. Denn ich werde auf
lange Sicht keine Möglichkeit haben, ein gut funktionierendes
Recruiting zu etablieren.“
Gutes Recruiting ist keine Frage der
Personenstärke oder des Budgets
Noch immer gibt es viel zu viele Unternehmen, die der Meinung
sind, dass sie als kleinere Firma eine Neuausrichtung ihres Re-
cruitings finanziell oder personell nicht leisten können. Doch
damit irren sie, denn zeitgemäßes Recruiting ist keine Frage
der Personenstärke oder des Budgets, sondern vielmehr eine
Frage strategischen Denkens und der richtigen Personen mit
den richtigen Mindsets.
Dass das auch in kleineren Unternehmen umsetzbar ist, zeigt
erneut das Beispiel BFFT. Als Hawliczek und Ortner dort mit
dem Sourcing anfingen, zählte das Unternehmen 90 Mitarbeiter.
„Da war es für uns einfach, sämtliche Strukturen so zu etablieren,
dass es jetzt im großen Konstrukt, mit 800 Mitarbeitern, auch
passt“, sagt Tobias Ortner. Jan Hawliczek ergänzt: „Gerade der
Mittelstand kann sich heute richtig profilieren. Diese Unterneh-
men sind flexibel und keine riesigen Tanker, die Jahre brauchen,
um ihre Struktur zu ändern.“
Von Daniela Furkel