personalmagazin 10/2018 - page 37

Recruiting
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Wie wichtig ist für Sie als Personalvorstand das Recruiting
– verglichen mit anderen HR-Themen?
Martin Seiler: Die Deutsche Bahn stellt in diesem Jahr 19.000
neue Mitarbeiter ein – die Größenordnung einer Kleinstadt! Al-
lein diese Zahl macht klar, dass Recruiting ein zentrales Thema
ist. Dahinter steht auch die für das operative Geschäft enorm
wichtige Aufgabe, dass wir die richtigen Leute zur richtigen Zeit
am richtigen Platz haben. Daher ist das Recruiting nicht nur
für das Personalressort ein wichtiger Aspekt, sondern für den
gesamten Konzern, wenngleich wir natürlich auch viele andere
Themen zu bewerkstelligen haben.
Ihr Unternehmen steht vor einer Pensionierungswelle. GDL-
Chef Claus Weselsky warnte kürzlich davor, dass wegen des
Personalmangels bei den Lokführern Zugausfälle drohen.
Machen Sie und Ihre Vorstandskollegen sich Sorgen, dass
der Bahn mangels Personal Umsatzeinbußen drohen?
Der Grund, weshalb wir so viele Menschen einstellen, liegt
erstens darin, dass uns in den nächsten zehn bis zwölf Jahren
rund die Hälfte der Belegschaft verlässt, schlicht, weil viele
Mitarbeiter in den Ruhestand gehen. Zweitens wächst die DB
und drittens suchen wir neue Skills und Fähigkeiten, insbe-
sondere im IT- und Digital-Umfeld. Wir stellen aber auch in
den klassischen Bahnberufen wie Lokführer, Fahrdienstleiter
oder Instandhalter ein und wenden große Anstrengungen auf,
um sie zu finden. Das schließt nicht aus, dass es beispielsweise
aufgrund von Grippewellen oder betrieblichen Störungen und
damit zusammenhängenden Verspätungen vorkommt, dass ein
Lokführer nicht zur richtigen Zeit am richtigen Einsatzort zur
Verfügung steht. Das sollte nicht vorkommen, das entspricht
nicht unserem Qualitätsanspruch.
Ihr Recruiting ist sehr innovativ. Bei Azubi-Bewerbungen
verzichten Sie auf das Anschreiben. Für das Recruiting von
Lokführern haben Sie Castings an Bahnhöfen eingeführt.
Auch Bewerbungen per Smartphone sindmöglich. Wie viele
Freiheiten haben Ihre Recruiter, neue Ideen umzusetzen?
Auf unsere leistungsfähige Personalgewinnung bin ich stolz,
aber sie ist ja kein Selbstzweck. Nur so bestehen wir in einem
angespannten Arbeitsmarkt. Umso wichtiger ist deshalb, dass
wir das ganze Thema aus einer Hand leisten können. Das heißt:
Die Gesamtverantwortung für das Recruiting liegt bei mir als
Personalvorstand. Darunter ist eine zentrale Einheit gebündelt,
die sowohl für die strategische Ausrichtung als auch für die
Umsetzung zuständig ist. Governance, Employer Branding, Re-
cruiting – alles ist unter einem Dach vereint. Ein Garant für den
Erfolg ist, dass wir die Personalgewinnung als Gesamtprozess
betrachten und nicht in mehrere Bereiche unterteilen, die an
verschiedenen Stellen angesiedelt sind. Damit unsere Recruiter
noch besser werden können, geben wir ihnen zudem die Frei-
räume, neue Dinge auszuprobieren. Dabei sehen wir: Wenn wir
immer noch etwas draufsetzen, innovativer und mutiger werden,
funktioniert es am Ende auch gut.
Nehmen wir das Beispiel „Deutschlands größtes Bewer-
bungsgespräch“. Ist es schnell und problemlos möglich,
solch eine Aktion, bei der in einer Woche 3.000 Interviews
in sieben Städten geführt wurden, innerhalb ihrer Konzern-
struktur umzusetzen?
Das ist genau das Thema: Weil das Recruiting bei uns in einer
Hand liegt, können wir so etwas wie Deutschlands größtes Be-
werbungsgespräch sehr schnell konzipieren und durchführen.
Von der Idee bis zu Umsetzung sind etwa zwei Monate vergan-
gen. Geschwindigkeit ist möglich, weil wir die Verantwortung in
einer Hand haben. Wir setzen uns immer wieder zusammen und
überlegen, was wir komplett anders machen können. Neue Ideen
können wir dann schnell umsetzen. Bei unseren VR-Brillen, die
wir im Recruiting nutzen, war es ganz ähnlich.
Die Deutsche Bahn hat ihre Personalgewinnung 2012 völlig
neu aufgestellt. Seitdemhaben sich der Personalbedarf und
die Recruitingwege weiterentwickelt. Inwiefern sind weitere
strukturelle Veränderungen nötig?
Wir richten unsere Personalgewinnungsorganisation gezielt an
den Anforderungen im Markt aus. So haben wir eine professio-
nelle Sourcing-Abteilung installiert, Experten für Digitalthemen
und Marktanalysen aufgebaut und ein Key-Account-System
für die noch engere Verzahnung mit dem Geschäft eingeführt.
Auch die Rolle der Recruiter hat sich stark verändert. Früher
war sie gekennzeichnet durch viel Administration, das Ent-
gegennehmen und Zuordnen von Bewerbungsunterlagen und
das Organisieren von Vorstellungsgesprächen. Heute sind die
Recruiter Arbeitsmarktexperten und Kenner ihrer Zielgruppe,
die sie verantworten. Sie sind Profis im ganzen Personalgewin-
nungsportfolio und entwickeln gezielte Strategien, um die neuen
Mitarbeiter zu begeistern und zu finden. Sie sind Berater für
Geschäftsfelder und Führungskräfte.
Was ist der grundlegende Vorteil, die Personalgewinnung in
einer zentralen Einheit zu organisieren?
Ein wichtiger Punkt ist der bessere Überblick. Bei uns be-
werben sich pro Jahr in etwa 250.000 Menschen. Das freut uns
natürlich. Aber viele der Bewerber wissen gar nicht, wie vielfältig
die Deutsche Bahn ist. Wenn sich jemand nur auf eine Stelle be-
wirbt und diese nicht bekommt, haben wir ein großes Potenzial
verschenkt. Oft ergeben sich im Gespräch andere Möglichkeiten,
zu denen der Bewerber sagt: „Das ist auch interessant.“ Durch
unsere zentrale Organisation können wir Bewerbern das gesamte
Spektrum anbieten. Eine Zahl zur Verdeutlichung: Rund ein
Drittel der Azubis hat sich ursprünglich für einen anderen Aus-
bildungsplatz bei uns beworben als den später angetretenen. Ein
weiterer Vorteil der zentralen Einheit ist die professionalisierte
Expertise, die man hier aufbauen und bündeln kann.
Bedeutet das auch, dass sich Ihre Recruiter auf eine be-
stimmte Berufsgruppe spezialisieren, mit deren Bedürf-
nissen, Wünschen und Medienverhalten sie sich intensiv
beschäftigen?
Ja, die Recruiter benötigen die Nähe zum Geschäft und müs-
sen gleichzeitig den Markt verstehen. Schüler muss man an-
ders ansprechen als erfahrene Facharbeiter, Ingenieure anders
als Lokführer. Manchmal sind wir deshalb eher traditionell
unterwegs, manchmal agieren wir sehr innovativ, modern und
hip. Dafür brauchen wir innerhalb der Personalgewinnung ent-
sprechende Ausrichtungen und so entwickeln wir auch unsere
Recruiter weiter. Die Recruiter sind stark auf ihre Zielgruppe
zugeschnitten, um diese zu verstehen. Wer nicht nah an der
Zielgruppe dran ist, kommt nicht weiter.
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