personalmagazin 10/2017 - page 56

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personalmagazin 10/17
SPEZIAL
_RECRUITING
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
I
m Online- und Einzelhandel spre-
chen wir schon seit Jahren über
den gläsernen Kunden, dessen per-
sönliche Vorlieben und Verhaltens-
weisen bis ins Kleinste erforscht und
analysiert werden. Fein abgestimmt auf
dieses Wissen werden Produkte konzi-
piert, Marketing-Maßnahmen gesteuert
und ausgewertet. Als Kunde bekommt
man mitunter ein wenig Angst, dass die-
se Einsichten zu weitreichend sind.
Im Gegensatz dazu tappen wir im Re-
cruiting weitgehend im Dunklen: Wer
kann schonmit Gewissheit sagen, welche
Bewerber über welchen Kanal gekom-
men sind? Welche Social-Media-Beiträge,
welche Banner oder welche Mailings er-
folgreich waren? Sie kennen die Antwort:
So gut wie niemand. Unternehmen inves­
tieren immer mehr Geld in Recruiting-
Maßnahmen, ohne dabei die Bewerber
und die Recruiting-Kanäle ausreichend
zu verstehen. Genau genommen haben
sie häufig nicht einmal eine Vorstellung
davon, wer ihre „typischen“ Bewerber
sind und auf welchem Wege diese von
Vakanzen erfahren haben.
Big Data und Recruiting
Wenn wir über Recruiting Analytics spre-
chen, sprechen wir letztlich auch über Big
Data. Heute ist es uns möglich, aus unter-
schiedlichen Quellen durch Messungen,
Tracking, Befragungen et cetera binnen
kürzester Zeit eine Vielzahl von Daten zu
sammeln. Diese Daten – wenn auch nicht
immer von gleicher Qualität – liefern uns
weitgehende Einblicke. Big Data findet
Von
Tim Verhoeven
Das Recruiting messbar machen
TREND.
Denkmuster und auch Know-how aus dem Online-Marketing und E-Commerce
finden zunehmend Anwendung im Recruiting. Für Recruiter gilt es, umzudenken.
bereits erste Anwendung in HR: Die Stu-
die „Big Data im Personalmanagement“
von Linkedin und Bitcom zeigt, dass 2015
neun Prozent der Unternehmen Big Data
nutzten, weitere 27 Prozent planten oder
diskutierten über den Einsatz. Großun-
ternehmen waren Vorreiter auf diesem
Gebiet. Schon 2015 nutzten 26 Prozent
von ihnen Big Data.
Der Ruf nach Messbarkeit
Spätestens seitdem ein Großteil der Re-
cruiting-Aktivitäten und der Bewerber-
Korrespondenz digital stattfinden, lassen
sich Denkweisen und Know-how aus dem
Online-Marketing und E-Commerce auf
das Recruiting übertragen. Gleichzeitig
wird der Ruf nach Messbarkeit und daten-
basierten Entscheidungen immer lauter:
Geben wir unser Geld für die richtigen
Kanäle aus? Wo kommen unsere Bewer-
ber eigentlich her? Diese Fragen wurden
bisher mittels Befragungen oder Studien
beantwortet. Auch Reportings einzelner
Dienstleister sollten dabei helfen.
Allerdings konnten wir bei Ver-
gleichsmessungen nachweisen, dass bei
manchen Methoden bis zu 50 Prozent
Abweichungen zur Realität existieren.
Bewerber oder neue Mitarbeiter ant-
worten vermeintlich sozial erwünscht
oder erinnern sich nur lückenhaft. Hin-
zu kommt der naheliegende Verdacht,
dass einige Marktteilnehmer, beispiels-
weise Jobboards oder die Anbieter von
Bewerbermanagement-Systemen, mög-
licherweise gar nicht daran interessiert
sind, die Wirksamkeit ihrer Maßnahmen
und Tools den Kunden gegenüber trans-
parent – und sich damit möglicherwei-
se obsolet – zu machen. Erste Anbieter
haben dieses Glaubwürdigkeitsproblem
erkannt und reagieren entsprechend:
Beispielsweise setzt das Karriere-Netz-
werk Absolventa auf ein Ausspielungs-
system, das nicht auf möglichst viele
Ansichten einer Stellenanzeige, sondern
auf tatsächliche Bewerbungen abzielt.
Es herrscht weitgehend Unsicherheit,
welche Kennzahlen Recruiting Analy-
tics erfassen sollte. Dass einzelne Kenn-
zahlen kein ausreichendes Bild liefern,
verdeutlicht dieses Beispiel: Dient die
absolute Anzahl an Bewerbern als Kenn-
zahl, könnte man meinen, eine Aus-
schreibung bei der Agentur für Arbeit
sei der erfolgreichste Kanal, immerhin
generiert sie zahlreiche Bewerbungen
bei minimalen Kosten. Das finale Er-
gebnis kann jedoch ganz anders sein:
Möglicherweise kommt auf diesem Weg
nicht eine Einstellung zusammen. Setzt
ein Unternehmen allerdings auf die Zahl
der tatsächlichen Einstellungen als Maß
aller Dinge, dann besteht die Gefahr, ei-
ne große Zahl hervorragender Bewerber
im Bewerbungsprozess zu verlieren, da
dieser möglicherweise einige signifikan-
te Schwächen aufweist.
Relevante Kennzahlen
Es kommt also darauf an, die Kennzahlen
so zu definieren, dass damit verschiede-
ne Dimensionen des Recruiting-Prozes-
ses abgedeckt werden. Das erreicht, wer
zusätzlich zur Bewerberdimension und
den tatsächlichen Einstellungen noch
mindestens eine dritte Komponente,
nämlich Interviews, Assessment-Center
oder ähnliches hinzufügt.
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