personalmagazin 07/17
42
MANAGEMENT
_CANDIDATE EXPERIENCE
D
ie Beziehung zwischen einem
Bewerber und einem Unter-
nehmen wird stark durch den
individuellen Recruiting-Pro-
zess geprägt. Um die eigenen Prozesse
aber wirklich kritisch zu hinterfragen
und dabei der durch die neuen Medien
gestiegenen Anzahl an Kontaktpunkten
gerecht zu werden, reicht eine Analyse
der eigenen Prozessschritte nicht mehr
aus. Ein Perspektivwechsel muss her:
von der Binnensicht des Unternehmens
hin zur Kandidatensicht.
In diesem Zusammenhang wird ein
Entwurf immer populärer: die Defini-
tion einer fiktiven und idealtypischen
Person (Persona), die eine spezielle
Zielgruppe repräsentiert. Bei der Per-
sona-Erstellung werden demografische,
sozioökonomische, psychologische
sowie verhaltens- und motivationsbe-
zogene Kriterien zu einem Gesamtkons
trukt verbunden. Eine gute Persona ist
lösungsneutral beschrieben und haucht
der abstrakten Zielgruppe durch kon-
krete Details zu Lebenslauf, Fähigkeiten
sowie Motiven Leben ein. Dabei sind
Personas keineswegs Stereotypen, son-
dern lenken die Aufmerksamkeit auf
die menschliche Seite der Kandidaten.
Daher darf bei einem guten Persona-
Steckbrief ein Bild nicht fehlen.
Um die Candidate Experience genauer
zu analysieren, hilft es, sich denWeg des
Kandidaten vom ersten Interesse bis zur
möglichen Einstellung oder Ablehnung
anzusehen. Die sogenannte Candidate
Journey untersucht die Berührungs-
punkte zwischen dem potenziellen neu-
en Mitarbeiter und dem Arbeitgeber. So
wie jedes Unternehmen seinen eigenen
Recruitingprozess aufsetzt, durchlebt
und bewertet auch jeder Kandidat seinen
Bewerbungsprozess individuell.
Wie gelingt es, den Graben zwischen
Standardisierung und Individualisie-
rung zu überbrücken? Ziel ist es, Kan-
didaten und ihre unterschiedlichen
Bedürfnisse zu clustern und so die ver-
schiedenen Erwartungshaltungen opti-
mal zu bedienen. Dem Kandidaten soll
das Gefühl gegeben werden, verstanden
worden zu sein und mit dem Unterneh-
men ein Gegenüber zu haben, das seine
Erwartungen versteht und (über-)erfüllt.
Bei der Entwicklung der Candidate
Personas und Journeys kommt ver-
stärkt die Design-Thinking-Methode
zum Einsatz. Das Ziel von Design Thin-
king ist es, den Nutzer direkt in den Ent-
stehungsprozess mit einzubeziehen und
seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt zu
stellen. Die Entwicklung innovativer und
wettbewerbsfähiger Ideen wird dadurch
gefördert. Design Thinking ist dabei aber
noch kein Garant für Innovationen, son-
dern lediglich eine Methode, die die Kre-
ativität als Kernelement fördert.
Eine anspruchsvolle Zielgruppe Die Strategie- und Managementbera-
tung Zeb verfolgt einen ehrgeizigen
Wachstumskurs, um sich langfristig als
Nummer eins im Financial-Service-Sek-
tor in Europa zu positionieren. Damit
einher geht ein erhöhter Bedarf an sehr
gut ausgebildeten Strategieberatern und
Fachexperten. Diese hart umkämpfte
und anspruchsvolle Zielgruppe gilt es
für sich zu gewinnen.
Im Herbst 2016 startete das Zeb-Pro-
jekt mit einem Team von zwei Berate-
rinnen und fünf Recruitern. Aufgabe war
es, die unterschiedlichen Erwartungen
der Zielgruppen kritisch zu beleuchten
und entsprechende Candidate Journeys
auf Basis von Candidate Personas zu
skizzieren. Folgende Ziele sollten er-
reicht werden: Verkürzung der Prozess-
zeit, Reduzierung der Rücktrittsquote
sowie Erhöhung der Annahmequote.
Empathie, Optimismus, integratives
Denken, Freude am Experimentieren
und an der Teamarbeit gehören beim
Design Thinking zu den unabdingbaren
Eigenschaften eines jeden Teammit-
glieds. Zum Erfolg beigetragen hat auch
eine kreativitätsfördernde Umgebung:
verstellbare Tische und Stühle, Projek-
tionsflächen, Smartboards und spezielle
Wände für Post-its waren vorhanden.
Tiefeninterviews mit Bewerbern
Um die Candidate Experience genauer
zu analysieren, haben wir den Weg ei-
nes Kandidaten vom ersten Interesse
bis zur Einstellung analysiert. Dazu
wurden 30 neu eingestellte Mitarbeiter
sowie vom Angebot zurückgetretene
Kandidaten zu ihren Erfahrungen im
Recruitingprozess befragt.
Die Ergebnisse der Tiefeninterviews
wurden transkribiert und von allen
Projektbeteiligten gelesen. In fünf ganz-
tägigen Workshops haben wir die Candi-
date Personas gebildet und anschließend
Ist- und Soll-Journey modelliert. Beson-
deres Augenmerk wurde dabei auf die
Perspektivwechsel
PRAXIS.
Die Managementberatung Zeb hat mithilfe von „Candidate Personas“ ihren
Bewerbungsprozess analysiert und anschließend optimiert.
Von
Burkhard Hanke
und
Natalie Schlemo