Personalmagazin 7/2017 - page 32

32
MANAGEMENT
_PERSONALDIAGNOSTIK
personalmagazin 07/17
dies auch in China die Bindung zwi-
schen Arbeitnehmer und Arbeitgeber.
Detaillierte und öffentlich zugängliche
Messeinformationen erhält man über
die örtlichen Arbeitsbehörden sowie die
Auslandshandelskammern in China.
Mit an Sicherheit grenzender Wahr-
scheinlichkeit erleben Personaler spätes­
tens bei der Teilnahme an Jobbörsen in
China echte kulturelle Unterschiede. Es
sollte nicht verwundern, wenn treusor-
gende Eltern amMessestand vorbeischau-
en, umetwas über dieArbeitsbedingungen
des Unternehmens zu erfahren. Halten
diese Informationen einer ersten Prüfung
stand, dann überreichen diese Eltern
auch gerne die Bewerbungsunterlagen
des Sohnes oder der Tochter. Das ist nicht
schlimm, aber gewöhnungsbedürftig. Es
ist eine spezielle Art von outgesourctem
Selfmarketing potenzieller Kandidaten
und Ausdruck elterlicher Fürsorge um
die „kleinen Kaiser“, wie die nun erwach-
sen werdenden und verwöhnten Kinder
der mittlerweile abgeschafften Ein-Kind-
Politik genannt werden.
Eine weitere Möglichkeit, einen ex-
klusiven Zugang zu Absolventen zu
generieren, ist es, Hochschulen direkt
anzusprechen, um sich dann vor Ort zu
präsentieren. Dabei ist der dafür erfor-
derliche zeitliche Vorlauf zu beachten;
denn auch hier muss erst Vertrauen
aufgebaut werden und man wartet nicht
zwangsweise auf das Engagement der
deutschen Personaler. Der beste Zeit-
punkt für einen Kontakt mit Hochschu-
len ist im September gleich zu Beginn
des Studienjahres. Dann kann man
Kurzpraktika im Betrieb anbieten. So
werden die Seniorjahrgänge frühzeitig
erreicht, denn spater haben sich die bes­
ten Kandidaten anderweitig orientiert.
Beziehungen sind besonders wichtig
Bezogen auf Studieninhalte können
chinesische Absolventen durchaus mit
denen anderer Nationen mithalten. Feh-
lende Praxiserfahrung ist allerdings
verbreitet und schwierig auszuglei-
chen. Deshalb sind Praktikumsangebo-
te zugleich Test- und Lernphasen sowie
Chance zum gegenseitigen Kennenler-
nen. Zudem ist dies ein einfacher Ein-
stieg in das Beziehungs- oder Empfeh-
lungsmanagement – auch und gerade,
wenn Unternehmen die Praktikanten
nicht übernehmen oder einstellen wol-
len. Personaler sollten jede neu geschaf-
fene Beziehung konsequent nutzen, um
so Weiterempfehlungen zu generieren.
Sehr wichtig ist auch die richtige For-
mulierung der Anforderungsprofile. Sie
sollten so exakt wie möglich gestaltet
sein, denn Chinesen wissen gerne genau,
was auf sie zukommt. Die wichtigsten
Kriterien sollten benannt werden, ohne
Erwartungen zu wecken, die sich nicht
halten lassen. Zum Beispiel die Erwar-
tungshaltung bezüglich Lernbereitschaft,
Mindset und Zuverlässigkeit dürfen frei
benannt werden. Im Gegenzug sollten die
Informationen, die Bewerber tatsächlich
interessieren und ein realistisches Bild
vom Job zeichnen, auch offengelegt wer-
den. Neben Fakten zu Gründern/Manage-
ment, Gründungsjahr, Mitarbeiteranzahl,
Branche, Produktsortiment, Kundenbran-
chen und natürlich Adresse mit Web-
seite interessieren auch die geldwerten
Benefits. Vereinzelt zeigen Unternehmen
sogar recht offen ihre Einstiegsgehälter,
insbesondere dann, wenn es sich um viele
gleichartige Stellen handelt.
Personaldienstleister sind nötig
Für die Besetzung vonManagement- und
Spezialistenpositionen ist es angeraten,
mit professionellen Personalvermittlern
oder Headhuntern zusammenzuarbei-
ten. Gerade wenn das eigene Netzwerk
noch nicht besonders gut ausgebaut ist,
braucht es örtliche Unterstützung, um
potenziell geeignete Kandidaten anzu-
sprechen. Die Informationen der Bera-
ter ersetzen aber auch in China nicht die
Eignungsprüfung. Der Arbeitgeber ist
selbst dafür verantwortlich, die Eignung
vor Einstellung mit probaten Diagnose-
verfahren zu testen.
Für nahezu alle Branchen gibt es in
China eine gute Auswahl von Personal-
dienstleistern. Auch westliche Anbieter
wie zum Beispiel Hays, Manpower, Adec-
co oder Randstad haben in den größeren
chinesischen Städten Niederlassungen.
Flächendeckend sind auch chinesische
staatliche und halbstaatliche Anbieter
verfügbar. Ist das eigene Netzwerk schon
etwas größer, ist es übrigens nicht unüb-
lich, wenn Bewerbungsunterlagen unter-
einander weitergegeben werden.
Lebenslauf ist oft frisiert
Der schwierigste Teil der Rekrutierung in
China ist die Personalauswahl. Wie ver-
lässlich sind der Lebenslauf und selbstbe-
richtete Qualifikationen? Gering. Gehen
Sie davon aus, dass Sie alles überprüfen
müssen, selbst dann, wenn vermeintlich
glaubwürdige Zertifikate vorgelegt wer-
den. Schätzungen gehen von rund 70 Pro-
zent gefälschten Unterlagen aus. Wenn
man zum Beispiel jemanden einstellen
möchte, der über spezifische Program-
mierkenntnisse verfügt, muss man diese
Qualifikationen in der Personalauswahl
überprüfen. So kann man zum Beispiel
einen Code auf Fehler prüfen lassen. Pra-
xisbeispiele mit deutschen Unternehmen
zeigen, dass solche Prüfungen in webba-
sierten Einstellungstests sehr effizient
helfen, wahre Qualifikationsträger von
Blendern zu differenzieren. Das reduziert
auch nachhaltig die Einarbeitungskosten.
Vor Ort können dann strukturierte Inter-
views und Arbeitsproben für alle Positi-
onen durchgeführt werden, zum Beispiel
Aufgaben zur Erhebung von Hand-Auge-
Wie verlässlich sind der
Lebenslauf und selbst-
berichtete Qualifikati-
onen in China? Schät-
zungen gehen von rund
70 Prozent gefälschten
Unterlagen aus.
1...,22,23,24,25,26,27,28,29,30,31 33,34,35,36,37,38,39,40,41,42,...84
Powered by FlippingBook