personalmagazin 04/2016 - page 75

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04/16 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Das Interview führte
Michael Miller.
Höchstüberlassungsgrenze von 18 Mo-
naten festgeschrieben wird, dann ist
dies mit dem Gedanken des Arbeitneh-
merschutzes nicht mehr begründbar.
Denn bei gleichen Arbeitsbedingungen
kann nicht mehr davon ausgegangen
werden, dass der Arbeitnehmer beim
Verleiher als Arbeitgeber schlechter auf-
gehoben ist, als beim Entleiher: Lieber
von einem seriösen Zeitarbeitsunter-
nehmen verliehen, als von der Schmud-
dels-GmbH, die mich entleiht, fest an-
gestellt. Die Höchstüberlassungsdauer
könnte zum Grund für Arbeitslosigkeit
werden. Denn muss der Arbeitnehmer
vom Entleiher abgezogen werden, dann
kann der ihn vielleicht nicht mehr be-
schäftigten. Bessere Wege sind denkbar.
personalmagazin:
Was wäre Ihr Vorschlag?
Thüsing:
Wieso keine unbegrenzte Über-
lassung, zumindest wenn der Verleiher
Equal Pay ab dem ersten Tag bietet?
Warum nicht unbegrenzte Überlassung,
wenn es dafür einen sachlichen Grund
gibt? Warum nicht unbegrenzte Über-
lassung, wenn dem Arbeitnehmer nach
einer bestimmten Frist ein Arbeitsplatz
beim Entleiher angeboten werden muss,
der aber dann ablehnt? Vieles ist denk-
bar – vieles was flexibler und interes-
sengerechter ist als die aktuell vorgese-
hene allzu starre Lösung.
personalmagazin:
Sie haben es ange-
sprochen: In Tarifverträgen sollen
Abweichungen möglich sein – bis hin zu
unbegrenzten Lösungen. Wie bewerten
Sie die Tariföffnungsklauseln im neuen
Entwurf?
Thüsing:
Ob diese Öffnung tatsächlich un-
begrenzt wirkt, bleibt abzuwarten. Denn
die Rechtsprechung könnte hier gegebe-
nenfalls einschränkend auslegen, wie
sie das auch bei den tarifvertraglichen
Regelungen zur sachgrundlosen Befris-
tung getan hat. Dort steht auch keine
Begrenzung der Möglichkeit, durch Ta-
rifvertrag den Zeitraum von zwei Jah-
ren zu erweitern. Dennoch nimmt das
Bundesarbeitsgericht an, wegen verfas-
sungs- und europarechtlicher Grenzen,
die Ausweitung sei nicht beliebig. Auch
wenn man das nicht für richtig hält:
Hier könnte Ähnliches passieren.
personalmagazin:
Beim Thema „Equal Pay“
wünscht sich die Praxis ja längst trans-
parente Berechnungsregeln. Liefert der
neue Entwurf hier Verbesserungen?
Thüsing:
Ich glaube nicht. Hier wird es
auf die praktische Umsetzbarkeit an-
kommen. Da ist noch einiges im Argen.
Der Entwurf enthält zum Beispiel jetzt
eine recht sperrige Vermutungsrege-
lung, mit der ich so recht nichts anfan-
gen kann: Erhält der Leiharbeitnehmer
das für einen vergleichbaren Arbeitneh-
mer des Entleihers im Entleihbetrieb
geschuldete tarifvertragliche Arbeits-
entgelt, so wird vermutet, dass dem
Equal-Pay-Grundsatz hinreichend Rech-
nung getragen wird. Aber Vermutungs-
regelungen sind nur da sinnvoll, wo es
um Beweis- und nicht – wie vorliegend
– um Berechnungsschwierigkeiten geht.
Das Problem ist nicht, dass man nicht
wissen könnte, welches Entgelt im Ent-
leihbetrieb gezahlt wird, sondern die-
ses für den nur temporären Einsatz des
Leiharbeitnehmers richtig abzubilden.
Hier wurde eine Kuh vom Eis geholt und
es war egal, wo man sie hinführte.
personalmagazin:
Bei der Arbeitnehmerdefi-
nition dürften Arbeitgeber dagegen aufat-
men, nachdem der Kriterienkatalog aus
dem neuen Entwurf gestrichen wurde.
Thüsing:
In der Tat, der alte Entwurf war
ein gesetzgeberischer Rohrkrepierer.
Schon das Vorhaben, den Arbeitneh-
mer durch Merkmale zu definieren, war
falsch. Der Arbeitnehmer ist ein Typus,
der nur in wertender Gesamtbetrach-
tung beschrieben werden kann, bei dem
es aber keine notwendigen und keine
hinreichenden Merkmale der Fremdbe-
stimmung gibt. Schon seit den Tagen des
Reichsgerichts und des Reichsarbeitsge-
richts verzichtet der Gesetzgeber daher
auf eine gesetzliche Festschreibung des
Arbeitnehmerbegriffs und das Bundes-
arbeitsgericht betont in ständiger Recht-
sprechung, warum das sinnvoll ist: „Es
gibt keine abstrakten, für alle Arten von
Arbeitnehmern schlechthin geltende
Kriterien“, stellte das BAG bereits 1978
fest. Wie will man sie dann abstrakt
festschreiben? Die aktuell vorgesehe-
ne Fassung ist demgegenüber harmlos.
Sie fasst wörtlich die bestehende Recht-
sprechung des Bundesarbeitsgerichts
zusammen. Das ist nicht schädlich,
aber hilfreich ist es auch nicht. Es ist
eine Merkzettelgesetzgebung, die auf-
schreibt, was jeder Arbeitsrechtler, und
erst recht die Gerichte, schon wissen.
personalmagazin:
Die CSU hat den Entwurf
zumindest zunächst gestoppt. Wo würden
Sie als Arbeitsminister nun nachbessern?
Thüsing:
Auch der aktuelle Gesetzentwurf
ist trotz aller guten Ansätze weiterhin
zu grob. Gefragt ist feinziselierter Ar-
beitnehmerschutz, nicht gesetzgeberi-
scher Kartoffeldruck. Insofern: Lieber
jetzt nachbessern als später. Ich glaube
aber, es wäre gut, wenn das Thema jetzt
angepackt und nicht auf die nächste
Legislaturperiode verschleppt würde.
Streikregelungen zurückstutzen, „Equal
Pay“ durch tarifvertragliche Vergütung,
nicht als widerlegbare Vermutung, son-
dern als Fiktion und eine Höchstüber-
lassung, die flexibler ist, ohne weniger
Arbeitnehmerschutz zu bieten. Dann
wäre das ein ziemlich gutes Gesetz.
„Der aktuelle Gesetzent-
wurf ist zu grob. Gefragt
ist feinziselierter Arbeit-
nehmerschutz, nicht ge-
setzgeberischer Kartof-
feldruck. Insofern lieber
jetzt nachbessern.“
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