personalmagazin 04/2016 - page 74

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RECHT
_FREMDPERSONALEINSATZ
personalmagazin 04/16
terstützern haben. Selbst wenn sie kein
einziges Mitglied im bestreikten Unter-
nehmen hat oder gar noch nie einen Ta-
rifvertrag mit dem bestreikten Unterneh-
men oder Verband abgeschlossen hat,
soll sie nun zwangsrekrutierte Truppen
haben, auf die sie sich stützen kann. Eine
Verhandlungsmacht nicht aus Organisa-
tion und Mitgliedschaft, sondern aus ge-
setzgeberischer Schützenhilfe. Arbeitet
der Leiharbeitnehmer nun doch, droht
dem Entleiher ein Bußgeld. Ebenso droht
es dem Leiharbeitnehmer, der durch sei-
ne Bereitschaft zur Arbeit dazu Beihilfe
leisten könnte. Es handelt ordnungswid-
rig, wer nicht streikt? Mit den gängigen
Schablonen zur Koalitionsfreiheit ist das
nicht in Übereinstimmung zu bringen.
Die Regelung greift damit weit über das
Verbot des gezielten Einsatzes von Leih-
arbeit zur Bewältigung von Streikfolgen
hinaus. Mit einem Wort: Absurd!
personalmagazin:
Neben diesem Aspekt
liegt der Schwerpunkt des Entwurfs
in der Umsetzung der Vorgaben des
Koalitionsvertrags – also 18 Monate
Höchstüberlassung und „Equal Pay“
nach neun Monaten. Ist diese gelungen?
Thüsing:
Nein, sie sind nicht gelungen.
Denn die bereits im ersten Entwurf ent-
haltenen Regelungen zur Höchstüber-
lassungsdauer sind zu sperrig. Nach
18 Monaten soll Schluss sein, wenn die
Tarifvertragsparteien nicht die Frist ver-
längern. Wem nutzt das? Der Kompro-
miss der Koalition, nach neun Monaten
„Equal Pay“ zu gewähren, ist ein rechts-
politisch guter und juristisch erprobter
Weg. Wenn zusätzlich eine absolute
„Mit einem Wort: Absurd!“
INTERVIEW.
Bei einigen Regeln des neuen Entwurfs zur Reform von Leiharbeit und
Werkverträgen muss Professor Gregor Thüsing den Kopf schütteln. Er erklärt, weshalb.
personalmagazin:
Herr Professor Thüsing,
angenommen, Sie wären Unternehmer,
der Fremdpersonal zum Beispiel in der
Produktion über Leiharbeit und in der IT
über Werkverträge im eigenen Betrieb ein-
setzt. Welcher Teil der geplanten Regeln
würde Ihnen Kopfzerbrechen bereiten?
Gregor Thüsing:
Für mich als Hochschul-
lehrer zum Glück nur eine hypotheti-
sche Frage. Aber der Einsatz von Zeit-
arbeit ist dadurch schwerer geworden.
Wenn ich auf diese Personalreserve bis-
lang in breitem Umfang vertraut habe,
dann könnte für mich insbesondere die
Frage, wie funktioniert Equal Pay, ein
echter Knackpunkt werden. Auch die
neue Höchstüberlassungsdauer zwingt
mich gegebenenfalls zu neuem Planen.
personalmagazin:
Was halten Sie als Ar-
beitsrechtler von dem neuen Entwurf?
Thüsing:
Arbeitgeberverbände und Ge-
werkschaften haben – so hört man – Frie-
den mit dem nachgebesserten Gesetz-
entwurf zu Zeitarbeit und Werkverträ-
gen geschlossen. Der erste Entwurf des
Ministeriums wurde zurückgezogen,
weil er weit über den Koalitionsvertrag
hinausging und handwerklich allzu
mangelhaft war. Was jetzt vorliegt, ist
besser, aber nicht gut. Man stolpert im-
mer noch über allzu Seltsames.
personalmagazin:
Worüber zum Beispiel?
Thüsing:
Etwa über die Regelungen zum
Einsatz von Leiharbeitnehmern während
eines Streikaufrufs, der künftig unein-
geschränkt verboten sein soll. Stell Dir
vor es ist Streik und niemand geht hin.
Zumindest für Leiharbeitnehmer wird
es dennoch die Pflicht zum Streik ge-
ben. Nicht nur die juristische Fachwelt
schüttelt den Kopf: Gerade der Leihar-
beitnehmer, der nicht vom erstreikten
Tarifvertrag profitieren würde, muss sich
nun zwangssolidarisieren und die Arbeit
niederlegen. „Durch die Neufassung wird
die Position von Leiharbeitnehmerinnen
und Leiharbeitnehmern weiter gestärkt“,
heißt es in der Begründung. Mitnichten:
Denn ein Recht, Streikarbeit zu verwei-
gern, haben Leiharbeitnehmer bereits
jetzt aus § 11 Abs. 5 AÜG. Eine Gewerk-
schaft, die zu einem Streik aufruft, dem
sich die gesamte Belegschaft verweigert
– etwa, weil sie von einer ganz anderen
Gewerkschaft bereits gut vertreten wird
– wird nun eine sichere Bank an Un-
PROF. DR. GREGOR THÜSING
ist Direktor
des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der
Sozialen Sicherheit an der Universität Bonn.
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