personalmagazin 04/2016 - page 45

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04/16 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
ten zu haben, die individuelles Funkti-
onieren am Arbeitsplatz befördern. So
wird es zu einem attraktiven Manage-
ment-Tool, weil man nur an einer Varia-
ble ansetzen muss, aber eine große und
breite Hebelwirkung erzeugen kann“.
Der nachdenklichste Satz lautet: „Die
großen Versprechungen zur Leistungs-
verbesserung, die mit Achtsamkeit ver-
bunden sind, werden kaum eingelöst
werden können, solange nicht klar ist,
welche Trainingskomponenten welche
Effekte erzeugen”.
Konsequenzen fürs HR Management
Eine in der Praxis schon spürbare Kon-
sequenz für HR ist, dass man sich eine
Schneise durch den Dschungel an Trai-
nings- und Beratungsangeboten schlagen
muss. Da gibt es neben der klassischen
Meditation und dem wissenschaftlich
gut erforschten Programm zur „Mind-
fulness-based stress reduction“ (MBSR)
noch allerlei Yoga- und Atemübungen,
Body-Scans, Ernährungstipps, kürzere
und längere Online-Kurse, Podcasts oder
Retreats. Auch an Fragebögen zur Erfas-
sung des individuellen Achtsamkeits-
grades mangelt es nicht (beispielsweise
der Freiburger Achtsamkeitstest). Die
Auswahl valider Test- und Trainingsme-
thoden ist nur ein Aspekt, ein zweiter ist
die Akzeptanz unter Führungskräften
und Mitarbeitern. Es gibt nicht nur im
ingenieursgetriebenen Mittelstand die
landläufige Meinung, dass gemeinschaft-
liches Atmen und körperliches Erspüren
als esoterisches Gedöns einzuordnen
sind. Im Umgang mit solchen Einwänden
braucht HR gute Argumente, wie sie der
besprochene Artikel zu Teilen liefert. Es
braucht aber auch den Blick auf Grenzen
und Kosten, die aus Praxissicht nicht
ausgeblendet werden können.
Die Studie aus Praxissicht
weitergedacht
Die monetären Kosten von Achtsamkeits-
trainings lassen sich schnell ausrechnen.
Weniger einfach ist es mit psychologi-
schen Kosten, die aufgrund von Achtsam-
keitsbestrebungen entstehen können. Im
Prozess des Achtsam-Werdens passiert
es nämlich nicht selten, dass Mitarbei-
ter nicht vorankommen und deshalb
Schuldgefühle oder Schuldzuweisungen
an der Tagesordnung sind. Dann ist HR
als Aufmunterer, Beruhiger und Zurecht-
rücker gefragt, sodass sich Frustration,
Erschöpfung und Vorwürfe nicht ver-
selbstständigen. Es kann auch sein, dass
achtsame Mitarbeiter auf systemische
oder personelle Probleme stoßen, die bis-
her unter den Teppich gekehrt wurden,
nun aber im Lichte des aufmerksamen
Erwachens ihre Hässlichkeit offenbaren.
Der unvoreingenommene Blick auf die
Führungskraft, die Kollegen, die Unter-
nehmensvision und -mission oder die
eigentlichen Motive und Erfolgswirkun-
gen einer Restrukturierung kann zeigen,
dass die Dinge in Wirklichkeit gar nicht
so sind, wie man bisher glaubte oder es
sich wünschte. Je öfter und je mehr davon
die achtsamen Mitarbeiter wahrnehmen,
desto eher führt die Achtsamkeitspraxis
in eine Abwärtsspirale aus Misstrauen
und Missgunst. Und die ist in profitorien-
tierten Unternehmen wahrscheinlicher
als im buddhistischen Kloster.
MARTIN CLASSEN
führt seit
2010 sein Beratungsunter-
nehmen People Consulting.
DR. CHRISTIAN GÄRTNER
ist Lehrstuhlvertreter für
Unternehmensführung an der
Universität Witten/Herdecke.
Zu oft hakt es noch am Transfer
wissenschaftlicher Erkenntnisse in die
Praxis. Darum stellen der Berater Martin
Claßen und der Wissenschaftler Chris-
tian Gärtner im Personalmagazin die
Kernergebnisse internationaler Studien
vor und ziehen Schlussfolgerungen
für das deutsche HR-Management. In
diesem Serienteil geht es um die Studie
„Contemplating Mindfulness at Work:
An Integrative Review“, die im Journal
of Management erschienen ist.
(cg)
SERIE
cherheit steigert. Zudem sind achtsame
Mitarbeiter besser auf Veränderungen
vorbereitet beziehungsweise zeigen
weniger Widerstand gegenüber Verän-
derungen, weil sie sowohl negative als
auch positive Aspekte wahrnehmen und
sich ihrer Vorurteile bewusst werden.
Bezüglich der zwischenmenschlichen
Beziehungen liegen Befunde vor, dass
achtsame Mitarbeiter empathischer sind,
ein positiveres Konfliktverhalten an den
Tag legen und so die Kommunikation und
die Beziehungsqualität bei der Arbeit in
Teams verbessern. Diese mehr Team- und
weniger Ego-bezogene Haltung hat den
interessanten Nebeneffekt, dass profit-
maximierende Entscheidungen, die auf
Kosten von Arbeitskollegen gehen (zum
Beispiel Entlassungen), eher vermieden
werden. Schließlich lässt sich anknüp-
fend an therapeutische Studien auch für
den Arbeitskontext zeigen, dass Acht-
samkeitsübungen das physische und
psychische Wohlbefinden steigern. Kern
hierbei ist, dass Stress besser verarbeitet
werden kann. Auch die burn-out-Gefahr
scheint zu sinken.
Für wen oder was das Ganze gilt
Grundsätzlich für alle Mitarbeiter, unab-
hängig von ihrer Position, Herkunft oder
Alter. Die erste Einschränkung: eine
gewisse Bereitschaft, sich den mindful-
ness-Trainingsmethoden
hinzugeben
braucht es schon. Die zweite Einschrän-
kung bezieht sich auf die Datenbasis:
Viele Studien sind entweder in Laborset-
tings entstanden oder untersuchen Mit-
arbeiter in lehrenden, helfenden oder
heilenden Berufen. Ob die Ergebnisse
auch für Unternehmen gelten, die nicht
nur Lehrer, Pfleger oder Ärzte beschäfti-
gen, ist bislang weniger erforscht. Glei-
ches gilt für mögliche Kosten und nega-
tive, nicht-intendierte Folgewirkungen
von Achtsamkeit(trainings).
Der wichtigste und der
nachdenklichste Satz
Der wichtigste Satz lautet: „Achtsamkeit
scheint eine Reihe von positiven Effek-
1...,35,36,37,38,39,40,41,42,43,44 46,47,48,49,50,51,52,53,54,55,...92
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