personalmagazin 04/2016 - page 19

19
04/16 personalmagazin
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
Das Interview führte
Melanie Rößler.
erfahren imHR-Umfeld. Einige sind aber
auch Quereinsteiger, was einerseits gut
ist, weil sie eine unverblümte Perspekti-
ve mitbringen, aber gleichzeitig die He­
rausforderung birgt, dass man die Spiel-
regeln der Branche schnell lernen muss.
Wir sehen uns als HR-Fachgruppe in der
Pflicht, die Professionalisierung hochzu-
halten und voranzutreiben.
personalmagazin:
Laut Bundesverband
gibt es derzeit rund 6.000 Start-ups in
Deutschland. Auch im Bereich HR stei-
gen die innovativen Unternehmensideen.
Welche Themen spielen bei den Neugrün-
dungen im Bereich HR die größte Rolle?
Werther:
Der Bereich Recruiting und
Personalmarketing macht den größten
Anteil aus. Auch deshalb, weil dort die
Not der Unternehmen am größten ist. Da
gibt es einerseits diejenigen, die mit sehr
großen Bewerberzahlen kämpfen – und
sich fragen: Wie sortiere ich sinnvoll aus?
Andererseits gibt es Unternehmen, die
kaum Bewerbungen erhalten und große
Schwierigkeiten haben, überhaupt geeig-
nete Mitarbeiter zu finden. Dementspre-
chend groß ist das Innovationspotenzial.
Insgesamt bieten die HR-Start-ups aber
ein breites Leistungsspektrum für alle
Personalprozesse: Neben dem Recruiting
ist von Personalentwicklung über Admi-
nistration und HR-Controlling bis hin zu
Compensation & Benefits alles dabei.
personalmagazin:
Wie schwierig ist es, ein
Tool oder eine Lösung zu verkaufen, die
nicht an die etablierten „großen“ HRM-
Plattformen andockt?
Werther:
Das kommt darauf an, welche
Zielgruppe ich adressiere. Manche Start-ups richten sich explizit an kleine Unter-
nehmen. Da ist das kein großes Thema.
Aber im Mittelstand geht es schon los,
und bei Großunternehmen ist das natür-
lich ein riesiges Thema. Da gibt es schon
eine Monopolisierung der großen Lösun-
gen, denn mit SAP, Oracle und Workday
arbeitet die absolute Mehrheit dieser
Firmen. Dementsprechend wird sich ein
Start-up sehr schwertun, wenn es keine
Schnittstelle für eine Integration anbie-
ten kann. Die Bereitschaft der großen
Anbieter ist allerdings manchmal nicht
sehr groß, wenn bei Schnittstellen Prob­
leme auftauchen, weil HR-Start-ups na-
türlich Konkurrenz bedeuten können.
Grundsätzlich ist dies aber der notwen-
dige Weg, um auch große Kunden bedie-
nen zu können.
personalmagazin:
Auf gruenderszene.de
schrieben Sie kürzlich, dass die Bedin-
gungen für innovative Lösungen im HR-
Bereich in Deutschland schwieriger sind
als beispielsweise in den USA. Inwiefern?
Werther:
Zum einen ist der Datenschutz
in Deutschland sehr hoch gewichtet. Das
ist natürlich auch positiv. Es geht uns
in der HR-Fachgruppe nicht darum, Da-
tenschutzanforderungen nach unten zu
korrigieren. Aber die Frage ist, wie man
das in der Praxis sinnvoll handhabt. Man
kann ja transparent und sehr sicher mit
Daten umgehen, aber bestimmte Lösun-
gen dennoch umsetzen. Es kann durch-
aus sinnvoll sein, Mitarbeiter unterei-
nander zu vergleichen oder bestimmte
Formen von Rankings oder statistische
Analysen durchzuführen, um strategi-
sche Implikationen abzuleiten. Da kom-
men wir in Deutschland insbesondere in
größeren Unternehmen sehr schnell an
unsere Grenzen, weil die Datenschutz-
beauftragten hier in vielen Fällen einen
eher konservativen Ansatz verfolgen.
Im HR-Bereich kommt dann noch die
spezifische Herausforderung Betriebs-
rat hinzu. Auch hier ist unser Standpunkt
klar: Es ist sehr gut, dass es Betriebsräte
gibt, und Mitbestimmungspflicht hat
absolut ihre Berechtigung, nur ist die
Frage: Will ich als Betriebsrat aktiv mit-
gestalten oder will ich Etabliertes bewah-
ren und schützen? Letzteres kann uns
als HR-Start-ups extrem blockieren, weil
die meisten unserer Themen letztlich
mitbestimmungspflichtig sind und es
in vielen Fällen um personenbezogene
Daten geht. Das führt zu langen Abstim-
mungsprozessen in den Unternehmen
und in der Folge zu sehr langen Sales-
Zyklen, teilweise sechs bis zwölf Monate.
Das ist für ein Start-up sehr schwierig
und herausfordernd. Die geschilderten
Rahmenbedingungen sind schon eine
Besonderheit des deutschen Marktes im
HR-Kontext. In anderen B2B-Kontexten
ist das nicht ganz so extrem.
personalmagazin:
Wie offen sind deutsche
Personalabteilungen dafür, neue innova-
tive – vielleicht auch unkonventionelle
Lösungen umzusetzen?
Werther:
Die Herausforderung ist, einen
guten Mittelweg zu finden und mit Da-
tenschutzbeauftragten, Betriebsrat, HR-
Abteilung und Unternehmensleitung in
einen Dialog zu treten. Dann besteht die
Chance, wirklich innovative Lösungen
auszuprobieren und zu implementieren.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es
stark von der Einstellung der Entschei-
der abhängt – ob das eher die Bewahrer
sind oder Menschen mit klaren Visio-
nen, die etwas verändern und gestalten
wollen. Die Offenheit hat in den letzten
Jahren deutlich zugenommen. Die Not
ist an einigen Stellen so groß, dass ein-
fach klar ist, dass man nicht weiterma-
chen kann wie bisher und innovative
Wege gehen und kreative Lösungen ein-
setzen muss. Das ist eine große Chan-
ce für uns HR-Start-ups - aber auch für
HR insgesamt, eine neue Form der HR-
Arbeit zu gestalten und die Zukunft der
Arbeitswelt aktiv mitzuprägen.
„Die strengen Daten-
schutzanforderungen
und Mitbestimmungs-
pflichten in Deutschland
stellen Start-ups im
HR-Umfeld vor große
Herausforderungen.“
1...,9,10,11,12,13,14,15,16,17,18 20,21,22,23,24,25,26,27,28,29,...92
Powered by FlippingBook