personalmagazin 07/2015 - page 70

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RECHT
_TARIFBINDUNG
personalmagazin 07/15
Bei Fragen wenden Sie sich bitte an
vom bisherigen Tarifvertrag nur durch
eine einzelvertragliche Abmachung mit
dem Mitarbeiter lösen kann. Lässt sich
eine solche Vereinbarung nicht erzielen,
gilt der bisherige Tarifvertrag trotz des
Betriebsübergangs unverändert weiter.
Eine schnelle Tarifflucht lässt sich da­
her nur bei Betriebsübergängen auf Un­
ternehmen erzielen, bei denen andere
Tarifverträge gelten und arbeitsvertrag­
liche Bezugnahmeklauseln als Tarif­
wechselklauseln ausgestaltet sind. Nur
dann lassen sich bisherige Tarifverträge
mit sofortiger Wirkung ablösen.
Risiko Outsourcing ausgestalten
Von der Tarifbindung kann sich ein Ar­
beitgeber durch Outsourcingmaßnah­
men relativ problemlos lösen. Lässt ein
Unternehmen bestimmte Tätigkeitsbe­
reiche im Rahmen von Werkverträgen
und freier Mitarbeit erbringen, fin­
den Tarifverträge auf das eingesetzte
Fremdpersonal keine Anwendung. Be­
vor Unternehmen solche Outsourcing­
maßnahmen umsetzen wollen, sollte
allerdings genau geprüft werden, ob die
rechtlichen Voraussetzungen für einen
Fremdpersonaleinsatz im Rahmen von
Werkverträgen vorliegen. Andernfalls
liegt zwischen Unternehmen und freien
Mitarbeitern tatsächlich ein Arbeitsver­
hältnis beziehungsweise ein (unerlaub­
tes) Leiharbeitsverhältnis vor, sodass
die Tarifverträge uneingeschränkt An­
wendung finden. Zudem drohen dem
Arbeitgeber im Fall einer unerlaubten
Arbeitnehmerüberlassung oder Schein­
selbstständigkeit erhebliche rechtliche
und sogar strafrechtliche Konsequen­
zen. Outsourcingmaßnahmen sollten
daher nur dann vorgenommen werden,
wenn Sicherheit hinsichtlich der rechts­
konformen Ausgestaltung der Werkver­
tragsverhältnisse besteht.
Firmentarifverträge als Lösung?
Ebenfalls ist es denkbar, dass sich ein
Arbeitgeber von der bisherigen Tarif­
bindung durch Abschluss eines Firmen­
tarifvertrags löst. Hierfür ist allerdings
die Mitwirkung der Gewerkschaft als
Tarifvertragspartei erforderlich. Gera­
de in Fällen, bei denen der Arbeitgeber
vorteilhaftere Tarifvertragsbedingungen
anstrebt, wird die Gewerkschaft nur in
Ausnahmefällen einen Firmentarifver­
trag abschließen. So ist der Abschluss
eines sogenannten Sanierungsfirmen­
tarifvertrags denkbar, wenn das Unter­
nehmen in eine finanzielle Schieflage
geraten ist und durch den an die wirt­
schaftlichen Verhältnisse angepassten
Firmentarifvertrag Arbeitsplätze gerettet
werden sollen. In diesem Fall gilt für die
tarifgebundenen Mitarbeiter der Firmen­
tarifvertrag, da dieser dem Flächentarif­
vertrag als speziellere Norm vorgeht.
Fraglich ist jedoch, ob der Firmen­
tarifvertrag auch auf nichttarifgebun­
dene Mitarbeiter Anwendung findet,
in deren Arbeitsverträgen eine dyna­
mische Bezugnahmeklausel enthalten
ist. Bisher ging das BAG zumindest da­
von aus, dass von einer dynamischen
Bezugnahmeklausel, die sich auf einen
Flächentarifvertrag bezieht, auch Fir­
mentarifverträge erfasst werden, die
mit derselben Gewerkschaft abgeschlos­
sen werden. Dies hätte zur Folge, dass
der Firmentarifvertrag mit sofortiger
Wirkung auch für nichttarifgebundene
Mitarbeiter gilt.
Diese Praxis könnte sich jedoch bald
ändern. Denn nach aktueller BAG-Recht­
sprechung soll im Fall eines Verbands­
wechsels der bisherige Tarifvertrag auf
Arbeitsverhältnisse mit dynamischer
Bezugnahmeklausel unverändert An­
wendung finden. Es ist daher nicht
auszuschließen, dass sich die neue BAG-
Rechtsprechung auch hinsichtlich des
Firmentarifvertrags auswirken könnte.
Dies hätte für den Arbeitgeber die nach­
teilige Folge, dass auch im Fall des Ab­
schlusses eines Firmentarifvertrags der
Verbandstarifvertrag auf Mitarbeiter
mit dynamischer Bezugnahmeklausel
unverändert Anwendung findet. Arbeit­
gebern ist daher zu empfehlen, arbeits­
vertragliche Bezugnahmeklauseln an
die aktuelle Rechtslage anzupassen und
bei der konkreten Formulierung auch
den Fall eines Firmentarifvertragsab­
schlusses zu berücksichtigen.
Fazit: Erschwerte Bedingungen
Letztlich ist die „Tarifflucht“ für den
Arbeitgeber nur unter erschwerten
Bedingungen möglich. Aufgrund der
Nachwirkung von Tarifverträgen kann
die bisherige Tarifbindung häufig nur
durch eine einvernehmliche Vertragsän­
derung mit den Arbeitnehmern abgelöst
werden. Dies gilt auch für nichttarifge­
bundene Mitarbeiter mit dynamischen
arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklau­
seln. Eine solche Vertragsänderung er­
weist sich jedoch häufig als schwierig.
Vordergründig lässt sich für Unterneh­
men eine Lösung von der Tarifbindung
am einfachsten durch Outsourcingmaß­
nahmen – wie zum Beispiel die Umstel­
lung auf Werkverträge – erreichen. Auf
Werkverträge finden Tarifverträge keine
Anwendung. Allerdings sollten Arbeit­
geber solche Outsourcingmaßnahmen
nur nach äußerst sorgfältiger Prüfung
durchführen. Im Fall einer Scheinselbst­
ständigkeit oder unerlaubten Arbeit­
nehmerüberlassung drohen erhebliche
rechtliche Sanktionen. Zumal dann auch
eine Tarifflucht nicht wirksamumgesetzt
wird, da Arbeitsverhältnisse zwischen
Unternehmen und Leiharbeitnehmern
oder freien Mitarbeitern fingiert werden.
Die Folge: Die bisherigen Tarifverträge
sind weiterhin anwendbar.
DR. PHILIPP BYERS
ist Fach­
anwalt für Arbeitsrecht und
Partner bei Lutz Abel Rechts-
anwalts GmbH in München.
Aufgrund der Nachwir­
kung kann die bisherige
Tarifbindung häufig nur
durch einvernehmliche
Vertragsänderung abge­
löst werden. Eine solche
ist jedoch oft schwierig.
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