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Die Interview-Reihe des Controller Magazins ist
eine dialogische Gesprächsform zur Ermittlung
von Wissen und Erfahrungen sowie von Meinun-
gen und Einstellungen zu controllingrelevanten
Themen und Fragen. Dabei wird neben klassi-
schen Themen auch auf innovative Überlegun-
gen und alternative Ansätze eingegangen. Die
vorliegende Ausgabe greift den systemischen
Ansatz und insbesondere das Konzept „Systemi-
sches Controlling“ auf, mit dem Ziel einer gro-
ben Einordnung und einer ersten Bewertung.
Biel:
Lassen Sie uns bitte gemeinsam ausloten,
was „systemisch“ für das Controlling leisten
könnte – oder auch nicht. Es ist noch nicht lan-
ge her, da hörten wir regelmäßig von den „sys-
temischen Risiken der Finanzmärkte“. Der Be-
griff „Systemisch“ ist ein fester Bestandteil der
Fachsprache bestimmter Bereiche, z. B. der
Biologie und der Medizin, auch in der Beratung
oder im Sozialen sowie in der Gesellschaftskri-
tik treffen wir auf diesen Begriff. Warum er-
scheinen dieser Ausdruck und damit auch die-
ser Gedanke seit einiger Zeit auch im Zusam-
menhang mit Wirtschaftsthemen?
Dr. Dr. Bauer:
Wir erleben hier einen
Paradig-
menwechsel
, der im Bereich der Biologie von
Maturana/Varela angestoßen wurde, sich über
die Soziologie Niklas Luhmanns und andere Be-
reiche bis zur Managementtheorie Peter Dru-
ckers ausgebreitet hat und in der systemischen
Familientherapie erstmals sehr konkret ange-
wendet wurde. Langsam sickert dieses neue
Denken auch in konkrete Anwendungsbereiche
wie Nationalökonomie, Betriebswirtschafts-
lehre oder Management ein.
Biel:
Wodurch unterscheidet sich dieses neue
Denken im Wirtschaftsbereich? Was ist das
Besondere?
Dr. Dr. Bauer:
Bisher erfolgte der Umgang mit
Fragestellungen oder Steuerungsaufgaben in
diesen Bereichen auf Basis des sogenannten
„Maschinenmodells“ und der Kybernetik erster
Ordnung. Das bedeutet: Ein System soll ge-
steuert werden, Steuerungsimpulse werden
gesetzt, ein Beobachter stellt fest, ob der Ziel-
wert erreicht ist, und steuert gegebenenfalls
nach. So ein Steuerungsmechanismus erster
Ordnung wäre zum Beispiel ein einfacher Hei-
zungsthermostat. Nach diesem Muster wur-
den Betriebsergebnisse oder volkswirtschaft-
liche Ziele im herkömmlichen Modus ange-
steuert. Heinz von Foerster hat in diesem Zu-
sammenhang den Begriff
Kybernetik zweiter
Ordnung
für die Steuerung komplexer Syste-
me geprägt.
Biel:
Kybernetik zweiter Ordnung? Was sollen
sich unsere Leser darunter vorstellen?
Dr. Dr. Bauer:
Das bedeutet, dass nicht bloß
ein einzelner Beobachter Auskunft über den
aktuellen Zustand des Systems geben soll,
CM September / Oktober 2016
Systemisches Controlling – Modethema oder
Bereicherung?
Interview mit Dr. Dr. Günther Bauer, GmbH-Geschäftsführer in Linz /
Österreich, Dozent und Berater
von Alfred Biel
Günther Bauer: „Managing Complexity“