CONTROLLER Magazin 5/2016 - page 42

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bauend das Schaffen einer dazu passenden
Unternehmenskultur.
Biel:
Damit eignet sich dieser Ansatz aber nicht
für den „schnellen Erfolg“. ...
Dr. Dr. Bauer:
Ja, das systemische Manage-
ment ist ein Konzept, das nur sehr
langfristig
wirkt
und erhebliche Ansprüche an die Persön-
lichkeiten im Führungsteam einer Organisation
stellt.
Narzissmus in der Führungsetage und
systemisches Management sind jedenfalls
unvereinbar.
Biel:
Sie sprechen vom „systemischen Control-
ling“. Doch ein komplexes Thema?
Dr. Dr. Bauer:
Mit meinem Ansatz des syste-
mischen Controllings habe ich versucht, darzu-
legen, wie das Controlling konzipiert werden
müsste, wenn in einer Organisation der An-
spruch des systemischen Managements kon-
kret umgesetzt werden soll. Dabei hat sich ge-
zeigt, dass wir über unser Konzept von Realität
und unsere Form der Wirklichkeitskonstruktion
nachdenken müssen. Daraus ergibt sich, dass
es günstig ist,
Beobachtungsprozesse
ge-
meinschaftlich zu betreiben und abzustimmen.
Biel:
Bitte lassen Sie uns dies konkretisieren.
Was bedeutet Ihre Sichtweise beispielsweise
bei Abweichungen?
Dr. Dr. Bauer:
Wenn Abweichungen im Steue-
rungsprozess differenzierter und auch gemein-
schaftlich beobachtet, erkannt und analysiert
werden, so wird dadurch nicht nur die Grundla-
ge für die nächste Steuerungsintervention ver-
bessert. Die Beteiligten lernen auch, die Reak-
tionen eines Systems besser abzuschätzen.
Diese Lernerfahrungen können für den gesam-
ten Steuerungsprozess genutzt werden.
Biel:
Dazu müssen jedoch Voraussetzungen
erfüllt werden. Worauf kommt es an?
Dr. Dr. Bauer:
Wenn es gelingt, diese Erfah-
rungen in die organisationalen Strukturen und
Prozesse zu integrieren, dann wird aus dem in-
dividuellen Lernen
organisationales Lernen
.
Damit Organisationen Lernerfahrungen dauer-
haft nutzen können, müssen sie sich also ver-
ändern. Das bedeutet: Die Voraussetzung da-
uns mit dem
Wesen komplexer Systeme
nä-
her auseinandersetzen. Dazu dient das syste-
mische Denken. Systeme verhalten sich auf-
grund einer inneren Logik weitgehend unab-
hängig von externen Steuerungsambitionen.
Sie sind dem Grunde nach unsteuerbar, un-
durchschaubar und unberechenbar. Das ist die
schlechte Nachricht.
Biel: … und die gute Nachricht?
Dr. Dr. Bauer:
Die gute Nachricht ist: Wenn wir
verstanden und akzeptiert haben, dass Syste-
me, also Teams, Abteilungen, ganze Firmen
und natürlich auch einzelne Mitarbeitende nicht
wie Maschinen gesteuert werden können, dann
eröffnen sich doch bestimmte Möglichkeiten ei-
ner effizienten Steuerung. Voraussetzung dafür
ist eine differenziertere Beobachtung.
Biel:
Wenn der „systemische Ansatz“ so vor-
teilhaft ist, wie Sie uns vermitteln, muss es
doch Gründe geben, die den Durchbruch
schwierig und mühevoll machen.
Dr. Dr. Bauer:
Das Verständnis eines systemi-
schen Managementansatzes wird dadurch er-
schwert, dass er nicht auf der reinen kognitiven
Ebene verstanden und auf der Handlungsebene
umgesetzt werden kann. Systemisches Mana-
gen ist keine Technik, die man lernen und unab-
hängig von der
Beschäftigung mit der eigenen
Persönlichkeit
umsetzen könnte.
Biel:
Was sind also aus Ihrer Sicht zentrale
Voraussetzungen?
Dr. Dr. Bauer:
Eine wesentliche Voraussetzung
für erfolgreiches systemisches Management ist
eine
authentische Haltung
der Führungskraft.
Eine Haltung der eigenen Bescheidenheit und
der Wertschätzung gegenüber anderen. Denn
die systemische Intervention an sich wirkt nur
dann, wenn der Bedeutungshintergrund der
Managementhandlung auf der Beziehungsebe-
ne flankiert und bestätigt wird.
Biel:
Es stellen sich also hohe Hürden?
Dr. Dr. Bauer:
Voraussetzung für systemi-
sches Management ist jedenfalls die Bereit-
schaft und Fähigkeit einer Führungskraft zur
regelmäßigen
Selbstreflexion
und darauf auf-
sondern dass zusätzlich eine
Beobachtung
der Beobachtung
eingeführt werden muss.
Biel:
Warum ist dies wichtig oder notwendig?
Dr. Dr. Bauer:
Dies führt dazu, dass
Wahrneh-
mungsverzerrungen
oder blinde Flecken ei-
nes Beobachters durch den zweiten Beobach-
ter wechselseitig ausgeglichen werden können.
Grundlage des Steuerungshandelns ist bei der
Kybernetik zweiter Ordnung also nicht das Be-
obachtungshandeln eines Einzelnen, der seine
Beobachtung als objektiv versteht, sondern die
Beobachtung durch zwei oder mehrere Be-
obachter
, die ihre individuellen Beobachtungen
als subjektive Konstruktionen verstehen, deren
Subjektivität durch den kommunikativen Ab-
gleich untereinander auf eine intersubjektive
Ebene gehoben wird.
Biel:
Bedeutet dies nicht eine „neue oder andere
Objektivität“?
Dr. Dr. Bauer:
Genau, es geht also nicht so
sehr um eine objektive Feststellung von wider-
spruchsfreien Fakten, sondern um eine mög-
lichst
differenzierte Darstellung einer Situa-
tion
aus unterschiedlichen Perspektiven, die
sich aus subjektiv gefärbten, emotional hinter-
legten Sichtweisen zusammensetzen und da-
her nicht immer widerspruchsfrei sein können.
Biel:
Und was ist nun der Vorteil einer solchen
Vorgehensweise?
Dr. Dr. Bauer:
So konstruierte Bilder fördern
mehr Aspekte einer gegebenen Situation zuta-
ge, weil dadurch auch unterschiedliche Interes-
senslagen,
verschiedene Perspektiven
und
die diversen vorhandenen emotionalen Ge-
stimmtheiten abgebildet werden. Durch diese
Vielfalt eignen sich solche Bilder besser als
Grundlage für das Steuern komplexer Systeme,
als scheinbar objektiv beobachtete Fakten. Aus
diesen Überlegungen ergibt sich für mich
schlüssig, wie systemisches Controlling konzi-
piert werden müsste.
Biel:
Wie müsste also der systemische Steue-
rungsansatz ins Controlling integriert werden?
Dr. Dr. Bauer:
Wenn wir unsere Steuerungser-
gebnisse verbessern wollen, dann müssen wir
Interview zum Thema: Systemisches Controlling
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