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und Handlungsansätze. Diese dürfen nicht als
Methoden der Manipulation missverstanden
werden. Erst wenn wir akzeptieren, dass das
Steuern in Organisationen
nur als Koopera-
tionsprozess zwischen allen Beteiligten
funktionieren kann
, erst dann erreichen wir
optimale Ergebnisse. Auch wenn wir zur Kennt-
nis nehmen müssen, dass, bedingt durch das
Wesen komplexer Systeme, in Organisationen
nicht alles willkürlich durch das Management
vorgegeben werden kann oder etwas zum fal-
schen Zeitpunkt auch kaum umsetzbar ist, so
werden wir doch feststellen, dass mit systemi-
schen Ansätzen langfristig ein höheres Ausmaß
an Zielerreichung möglich ist als mit herkömm-
lichen mechanistischen Ansätzen.
Biel:
Was ist abschließend Ihre wichtigste
Empfehlung an unsere Leserinnen und Leser?
Dr. Dr. Bauer:
Führungskräften würde ich eine
Haltung heiterer Gelassenheit
empfehlen.
Gestehen Sie sich Fehler zu (sie sind ohnehin
unvermeidlich), betrachten Sie das Steuern ei-
ner Organisation als
Gemeinschaftsaufgabe
,
nehmen Sie sich selbst nicht zu wichtig, inter-
essieren Sie sich für die Meinung anderer und
kommunizieren Sie auf Augenhöhe. Haben Sie
Mut zur Lücke und zur kritischen Selbstrefle-
xion. Fangen Sie einfach an und vertrauen Sie
darauf, dass die Qualität ihrer Ergebnisse im
Zuge dieses Prozesses ständig besser wird,
weil sie selbst und ihre Weggefährten aus den
Reaktionen, die sie auslösen, immer wieder da-
zulernen. Mitarbeitende in Controllingabteilun-
gen möchte ich anregen,
nicht nur Fakten,
sondern auch Sichtweisen
aus unterschiedli-
chen Perspektiven in der Organisation zusam-
menzutragen. Setzen Sie sich nicht nur mit der
vermeintlich harten Wirklichkeit in ihrer Organi-
sation auseinander, sondern versorgen Sie Ihre
Führungskraft auch mit Informationen über die
weiche Wirklichkeit, also über vorherrschende
Stimmungen oder emotionale Befindlichkeiten,
durch die das organisationale Geschehen aktu-
ell geprägt wird.
Biel:
Vielen Dank für den interessanten Dialog,
für die sehr angenehme Zusammenarbeit so-
wie für Ihre Anregungen.
Dr. Dr. Bauer:
steht, Widersprüchlichkeiten und
Unver-
einbarkeiten in einer gegebenen Situation
zuzulassen.
Wir müssen lernen, es auszuhal-
ten, dass Informationen zu einer bestimmten
Situation unvollständig, mehrdeutig, verwir-
rend, widersprüchlich und unklar sind. Erst
durch längeres, achtsames und gemeinsames
Beobachten entsteht ein differenziertes Bild,
das uns eine gute Grundlage für das weitere
Handeln bietet. Controller, die sich ängstlich an
einfachen Erklärungen festhalten wollen, sind
für systemisches Controlling weniger geeignet.
Biel:
Sie schreiben u. a. „bürsten Sie Informa-
tionen gegen den Strich“. Was meinen Sie damit?
Dr. Dr. Bauer:
Es geht einfach darum, nicht
jede
Controllingzahl
als Ausdruck einer abso-
luten Realität aufzufassen, sondern als eine
mögliche Sichtweise, die jedenfalls hinterfragt,
mit anderen Informationen abgeglichen, plausi-
bilisiert und mit anderen Sichtweisen ergänzt
werden muss, um eine brauchbare Grundlage
darzustellen.
Biel:
Welche Verhaltensweisen sind aus Ihrer
Sicht bei Controllern besonders wichtig, nütz-
lich und hilfreich. Etwa das gezielte Beobach-
ten, das genaue Kontrollieren oder etwas mit
Entschiedenheit festzustellen?
Dr. Dr. Bauer:
Natürlich steht das
sensible
und achtsame Beobachten
im Vordergrund.
Auch Genauigkeit ist hilfreich. Aber ein Control-
ler, der hauptsächlich kontrolliert und sich als
Besserwisser aufspielt, der wird schnell das
Vertrauen aller Beteiligten verlieren und daher
zu vielen wichtigen Informationen keinen Zu-
gang mehr haben. Führungskräfte benötigen
Unterstützung durch Controller, die in der Lage
sind, Beobachtungsperspektiven auszuweiten
und zu ergänzen und nicht solche, die bei der
Wahrnehmung ausschließlich auf die eigene
Sichtweise fixiert sind.
Biel:
Was bedeutet – aus der Perspektive des
Systemischen Controllings betrachtet – die
wachsende Komplexität und Dynamik, der wir
uns gegenüber sehen. Wie können wir damit
umgehen?
Dr. Dr. Bauer:
Für den
Umgang mit Komple-
xität
benötigen wir systemische Denkfiguren
Erst durch die reflexive Einbeziehung von Emo-
tionen in unser Steuerungskonzept können wir
funktionales Handeln sicherstellen. Der schwe-
dische Organisationsforscher Nils Brunsson
drückt das so treffend aus, wenn er sagt: Die Ir-
rationalität der Entscheidung ist die Vorausset-
zung für die Rationalität der Umsetzung. Das
klingt paradox, gemeint ist folgendes: Ausrei-
chendes Kommitment für eine effiziente Um-
setzung können wir nur dann erzeugen, wenn
wir vorhandene Emotionen und irrationale Be-
findlichkeiten im Entscheidungsprozess be-
rücksichtigen.
Biel:
Wie sicher können wir uns also in der
Controllingpraxis fühlen und wie eindeutig
können unsere Ergebnisse sein? Wie können
wir z. B. mit Zweifel oder gar Widersprüchen
umgehen?
Dr. Dr. Bauer:
Je mehr wir in der Lage sind,
vermeintliche Sicherheiten gedanklich aufzuge-
ben, uns auf das Gefühl von Unsicherheit einzu-
lassen und unsere Ergebnisse immer wieder zu
hinterfragen, desto größer ist die Chance, un-
sere Bilder weiter anzureichern. Sobald wir ein
Bild schließen (ich beobachte etwas und bin mir
der Bedeutung des Beobachteten sicher), wer-
den wir blind für alle Aspekte, die nicht in die-
ses Bild passen, die uns aber eine differenzier-
tere Beobachtung ermöglichen würden.
Biel:
Damit fordern Sie Controllerinnen und
Controller heraus.
Dr. Dr. Bauer:
Controller müssen sich mit ih-
ren eigenen Ängsten und Unsicherheiten aus-
einandersetzen und darauf einlassen. Je län-
ger ich nicht weiß, wie ich etwas einordnen
soll, desto länger bin ich aufmerksam für un-
terschiedliche, oft auch widersprüchliche Ein-
drücke. Alle Aspekte, die sich nicht in ein Bild
einfügen, sind besonders wertvoll, weil sie da-
rauf hindeuten, dass die Situation differenzier-
ter zu beurteilen ist.
Biel:
Unsicherheit ist eine Größe, mit der Mana-
ger und Controller leben müssen. Haben Sie
hierzu eine Hilfe?
Dr. Dr. Bauer:
Das Zauberwort in diesem Zu-
sammenhang heißt Ambiguitätstoleranz. Damit
ist eine
Fähigkeit gemeint, die darin be-
CM September / Oktober 2016