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Das Thema „Verhalten“ war Controllern lange
Zeit nicht geläufig. Wenn doch, haben sie es
nicht recht ernst genommen. Controller waren
(und sind) instrumentengetrieben, folgen einer
ingenieurswissenschaftlichen Perspektive. Inno-
vationen fokussieren sie auf die Entwicklung
leistungsfähigerer Instrumente.
Das Ziel (und
die Fähigkeit), immer besser zu rechnen,
prägt die Controllerzunft unter dem Thema
„Business Analytics“ auch ganz aktuell wie-
der.
Menschen kommen in solchen Rechnungen
kaum vor. Hochschulen haben in der Vergangen-
heit wenig dazu beigetragen, das zu verändern.
Managementberatungen halfen schließlich auch
nicht. Sie haben Verhaltensthemen bisher nicht
in ihrem Portfolio. Diese verkaufen sich nicht.
Die Bastion des rein Technokratischen wurde ab
den 1980er Jahren durch eine Entwicklung ins
Wanken gebracht, die aus der Theorie heraus
getrieben war: Diese sah Menschen zwar weiter-
hin als durch und durch rationale Akteure, aller-
dings nun als solche, die gerne auch für eigene
Ziele arbeiten, nicht wie selbstverständlich im-
mer den Unternehmenszielen verpflichtet sind.
Die Prinzipal-Agenten-Theorie macht Aussagen
darüber, wie Unternehmen auf ein solches „Wol-
lensdefizit“ reagieren können. Der Königsweg
führt über die Anreizgestaltung. Die richtige
Form der variablen Vergütung gehört dazu eben-
so wie das Setzen
langfristig wirksamer An-
reize
, etwa in Form von Bonusbanken. Diese
Themen sind längst fester Bestandteil der Aus-
bildung an den Hochschulen und auch ein Stan-
dardprodukt von Managementberatungen (z. B.
bei der Einführung wertorientierter Steuerung).
Verhaltensaspekte fristeten dagegen lange
Zeit ein Stiefmütterchendasein.
Zwar waren
die Themen an anglo-amerikanischen Hoch-
schulen seit langem bekannt (Organizational Be-
haviour, Behavioral Accounting). Sie litten aber
darunter, dass es nur einen Weg rationalen Ver-
haltens gibt, aber unendlich viele Abweichungen
von diesem. Die beiden Fächer präsentierten
also eine kaum überschaubare Zahl von Ein-
zelthemen. Alles scheint möglich. Worauf soll
man sich konzentrieren, wie soll man vorgehen?
Die Hochschulen versäumten es, anschauliche
Begriffe zu prägen und griffige Schemata zu
entwickeln. Noch weniger Aufmerksamkeit wur-
de darauf verwendet, die Themen der Praxis nä-
her zu bringen – um ein wenig Eigenwerbung zu
machen: Wir an der WHU haben schon vor mehr
als 10 Jahren zwei solche Leitfäden veröffentlicht
und diese gerade noch einmal aktualisiert (Band
91 der Schriftenreihe Advanced Controlling).
Auch Beratungen waren – wie bereits ange-
sprochen – an dieser Stelle wenig ergiebig. Das
scheint sich nun langsam zu ändern. Ein ganz
aktuelles Beispiel liefert der Träger des diesjäh-
rigen Controllerpreises des ICV. RWE hat in der
jüngeren Vergangenheit nicht wirklich eine
glückliche Hand mit wichtigen Investitionen ge-
habt. Trotz Nutzung aller üblichen Instrumente
des Investitionscontrollings haben sie – bildlich
gesprochen – alle Eier in einen Korb gelegt. Die
geradezu erdbebenartigen Veränderungen im
Energiesektor treffen sie deshalb besonders
hart. Dies war Anlass für das Top-Management
zu fragen, wie es dazu gekommen ist und wie
Vergleichbares in Zukunft vermieden werden
kann. RWE suchte hierzu Rat bei einer bekann-
ten Managementberatung, die kürzlich eine
entsprechende Practice aufgebaut hat.
Deren Anstoß ist auf fruchtbaren Boden gefal-
len. Mittlerweile besteht ein klares Verständnis
darüber, wo in diesem Unternehmen die größten
kognitiven Biases gelegen haben und liegen und
– viel wichtiger – was dagegen zu tun ist. Bei
Letzterem muss allerdings noch viel Erfahrung
gesammelt werden, um einen allgemein aner-
kannten Katalog von Maßnahmen für bestimmte
Entscheidungskontexte zu entwickeln. Hierzu
zählt z. B. ein Controllern gut bekanntes Element:
Bei jeder wichtigen Entscheidung muss einer im
Team die Rolle des Advocatus Diaboli spielen.
Kaum bekannt ist dagegen die folgende Maß-
nahme: In einem Entscheidungsgremium wer-
den die Stellungnahmen zu einem Thema von je-
dem Einzelnen schriftlich verfasst und zu Beginn
der entscheidenden Sitzung sukzessiv verlesen.
Warum: Um einen Ankereffekt (die erste Stel-
lungnahme setzt den Rahmen für alle weiteren)
oder einen „Sunflowerbias“ (alle reden dem
Ranghöchsten nach dem Munde) zu vermeiden.
Das Feld der Verhaltensorientierung ist insge-
samt noch wenig bestellt und manches mag wie
Spielerei aussehen. Meine persönliche Prognose
lautet: Spätestens in zehn Jahren wird jeder Stu-
dierende an den Hochschulen Verhaltensorientie-
rung gelernt haben, in zwanzig Jahren wird das
Wissen fester Bestandteil aller Managementpro-
zesse in der Praxis sein. Wenn es schneller ginge,
würde das viel Geld sparen helfen. Aber Progno-
sen sollten halt keine Wunschbilder sein ...
Autor
Prof. Dr. Dr. h.c. Jürgen Weber
ist Direktor des Instituts für Management und Controlling (IMC)
der WHU – Otto Beisheim School of Management Campus
Vallendar, Burgplatz 2, D-56179 Vallendar;
controlling. Er ist zudem Vorsitzender des Kuratoriums des
Internationalen Controller Vereins (ICV).
Controlling & Verhalten
von Jürgen Weber
CM Mai / Juni 2015