Wirtschaft und Weiterbildung 5/2019 - page 22

titelthema
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wirtschaft + weiterbildung
05_2019
klären und bewerten. Die Gesetzmäßig-
keiten von Kommunikationsprozessen
sind laut Simon sehr konservativ und
bevorzugen immer den Status quo. Sie
laufen zugunsten derjenigen ab, die ge-
rade an der Macht sind. Das ist zu Beginn
jeder populistischen Bewegung deren
Hauptproblem. Wer wie die amtierende
Regierung bekannt ist und viel Aufmerk-
samkeit erhält, wird noch bekannter. Wer
wenig Aufmerksamkeit erhält, verliert im
Laufe der Zeit oft noch den letzten Rest
an Aufmerksamkeit. Wenn Populisten
ein einmaliges Ereignis initiieren, dann
wird das schnell wieder vergessen. Sie
sind gezwungen, ihre Geschichten immer
wieder in den Fokus der Aufmerksam-
keit zu bringen, denn die Merkfähigkeit
einer Gesellschaft ist gering. Daraus folgt
auch, dass ein Populist eine Organisation
(Partei) braucht, denn sonst schafft er es
nicht, sich regelmäßig in Szene zu setzen
und seine Botschaft vor dem Vergessen
zu schützen.
Die etablierten politischen Kräfte werden
sich natürlich bemühen, einen Populisten
zu ignorieren. Das gilt unter Kommuni-
kationsprofis als „die wirkmächtigste“
Möglichkeit sozialer Entwertung. Wer
nicht wahrgenommen wird von anderen
Menschen, den gibt es sozial schlicht und
einfach nicht. Ein Trick, wie man den
ignorantesten Kontaktverweigerer dazu
bringt, einen doch wahrzunehmen, be-
steht darin, ihm Schmerzen zuzufügen.
Das heißt nicht unbedingt, dass Popu-
listen Gewalt anwenden müssen. Simon:
„Wenn sie die körperliche und seelische
Gesundheit oder gar die Existenz eines
Menschen (verbal) bedrohen, dann muss
er in die Kommunikation einsteigen und
kann sie nicht mehr ignorieren.“
Nur eine wütende Sprache
sorgt für Beachtung
Ein Populist sollte also unbedingt über
ein gewisses aggressives Potenzial ver-
fügen. Simon: „Da Sie den Rahmen zi-
vilisierten Verhaltens nicht dauerhaft
verlassen dürfen, wenn Sie eine breite
Gefolgschaft auch in bürgerlichen Krei-
sen finden wollen, dürfen Sie sich nicht
selbst an Gewalttätigkeiten beteiligen.
Es reicht in der Regel, wenn Sie eine ag-
gressive, wütende Sprache wählen. Sie
können und dürfen sich auch ungeniert
zu Gewaltphantasien bekennen oder hy-
pothetisch kriegerische Szenarien durch-
spielen.“ Wenn es im Zusammenhang
mit aggressiven Reden zu Gewalttaten
kommt, muss der Populist ungeniert be-
haupten, er sei missverstanden worden.
Die Folge radikaler Äußerungen besteht
darin, dass die eine Hälfte der Zuhörer
den Populisten verachten und bekämpfen
wird, während die andere Hälfte ihn lie-
ben wird. Durch diese Spaltung wächst
dem Populisten ein Pool an möglichen
Unterstützern zu. Und jeder Populist
braucht Menschen, die er in Bewegung
setzen kann. Simon: „Massenbildung ist
die Grundlage jeder populistischen Stra-
tegie. Ohne sie kann keine Bewegung
erfolgreich sein, denn das Volk gewinnt
nur als Masse konkret handelnd Realität.“
Für den Einzelnen liegt der Reiz, sich in
eine Masse zu begeben, sei es im Stadion
oder bei einer Demonstration, im ozea-
nischen Erlebnis, die eigenen Grenzen in
einer größeren Einheit aufzulösen. Man
wird erlebbar Teil von etwas Größerem,
als man selbst es ist. Man agiert mit, hat
aber keine Kontrolle über das Geschehen
und daher (scheinbar) auch keine Ver-
antwortung für das, was kollektiv getan
wird. Simon ist sich sicher: „Es gibt wohl
keinen Ort, wo man Zugehörigkeit stärker
erleben kann als beim Mitschwimmen in
einer erregten Masse.“
Fritz B. Simon hat ein Rezeptbuch ge-
schrieben, dessen analytische Kraft sich
erst erschließt, wenn man sich die 18
Kapitel vom Anfang bis zum Ende zu
Gemüte führt. Dieser Artikel soll „ledig-
lich“ zeigen, wie nützlich es im Detail
sein kann, mit einer systemischen Brille
auf politische Prozesse zu schauen. Wer
weiterführende Anregungen braucht,
um gegen den Populismus ankämpfen
zu können, sollte unbedingt zu Hannah
Arendts politischem Hauptwerk „Ele-
mente und Ursprünge totaler Herrschaft“
(Piper, 1986) greifen. Die berühmte Publi-
zistin Arendt (1906-1975) setzte sich zeit-
lebens mit den Kräften auseinander, die
eine freie Gesellschaft zerstören wollen.
Es gibt keine Denkerin, die so eindring-
lich erklärt hat, wie wichtig das eigene
politische Engagement ist.
Und natürlich gibt es da auch noch die
Waffe des Humors. Simon schließt sein
Buch mit dem Hinweis: „Humor ist ein
mächtiges Instrument des Widerstands,
das man nicht einfach verbieten kann.“
Denn allein durch ein Witze-Verbot wer-
den Populisten oft selbst zur Witzfigur.
Martin Pichler
R
Manfred Lütz (Mitte).
Der
Psychiater stellte auf der „Leip-
ziger Buchmesse 2019“ sehr
tiefgründig Fritz B. Simon und
dessen Populismus-Buch vor.
Foto: Connie Lorenz
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