Wirtschaft und Weiterbildung 5/2019 - page 21

wirtschaft + weiterbildung
05_2019
21
4.
Wenn alle Hoffnung schwindet,
kommen der Held („der starke Mann“)
und seine treuen Mitstreiter, die allen
Entrechteten und Beladenen Hoffnung
auf Rettung versprechen.
5.
Der Held und seine Leute liefern eine
plausible Erklärung für die Notlage:
Es gibt einen oder mehrere Feinde
(„Fremde“), die nicht zur Gemein-
schaft („wir“) gehören – auch wenn
sie das manchmal vorzutäuschen ver-
suchen.
6.
Die Eliten versagen nicht nur, sie
arbeiten mit dem Feind zusammen, sie
sind die Agenten des äußeren Feinds
im Inneren.
7.
Der Feind ist böse, stark und aktiv.
Der Held und seine verschworenen
Kameraden („die Guten“) müssen
ihre Aktivität und Stärke unverhüllt
demonstrieren, weil sie ihm sonst nicht
gewachsen sind und das schwache
Volk nicht schützen können.
8.
Diese Geschichte muss die Leser
oder Hörer dazu einladen, sich mit
den Guten, das heißt dem Helden
und seinen Leuten, zu identifizieren
(„wir“), sich ihnen anzuschließen
und mit ihnen gegen den inneren wie
äußeren Feind und damit für eine
bessere Welt zu kämpfen.
9.
Wer nicht für die Guten ist, ist für
die Bösen („Feind“), das heißt, er
verdient keine Gnade und keine
kleinbürgerliche oder moralische
Rücksichtnahme.
10.
Die Guten gewinnen, die Bösen sind
nicht mehr stark und aktiv, und die
Guten sorgen dafür, dass sie das auch
nie wieder werden („Happy End“).
Der Feind kann eine einzelne Person sein.
Simon „empfiehlt“ allerdings, lieber eine
soziale Gruppierung zu wählen, da ein
Einzelner ausgeschaltet werden kann und
dann nicht mehr als Feind zur Verfügung
steht. Ein Feind sollte sich am besten
durch einen „Globalbegriff“ charakterisie-
ren lassen (das Großkapital, der Kommu-
nismus, die Juden, der Islam, die grün-
versiffte Linke oder Ähnliches). „Dann
sind Sie als Populist auf der sicheren
Seite, denn die Zuschreibung der Rolle
des Übeltäters kann nicht durch einzelne
Gegenbeispiele außer Kraft gesetzt wer-
den“, erklärt der Professor weitere Details
auf dem Weg in Richtung Populismus.
Um die öffentliche Aufmerk-
samkeit muss man kämpfen
Auch wenn ein potenzieller Populist bis
jetzt alles „richtig“ gemacht hat, er sollte
sich unbedingt Simons Erklärungen zum
Thema „Konstruktivismus und Kommu-
nikation“ zu Gemüte führen: Soziale Sys-
teme und erst recht politische Systeme
werden durch Kommunikation gestaltet.
Kein Beteiligter kann einseitig bestim-
men, wie das, was er sagt, von den an-
deren verstanden, interpretiert und be-
wertet wird. Deshalb ist jede Interaktion
von Menschen nicht wirklich berechen-
bar und vorhersehbar. Die Reaktion des
Einzelnen wird davon bestimmt, wie er
die Welt wahrnimmt und wie er glaubt,
dass die Welt funktioniert. Daher kön-
nen schon Individuen nicht wie Autos
gesteuert werden, bei denen sich damit
rechnen lässt, dass der Motor anspringt,
wenn man den Zündschlüssel dreht. Eine
Gruppe von Menschen kann also nicht
gesteuert werden wie eine Maschine. Mit
ihrem Eigensinn und Überraschungen ist
zu rechnen. Gesellschaftliche Prozesse
können trotzdem beeinflusst werden!
Simon betont: „Was die Kommunikation
zwischen einzelnen Menschen überhaupt
erst möglich macht, ist, dass sie ihre Auf-
merksamkeit aufeinander abstimmen. Es
ist die Fokussierung der Aufmerksamkeit,
durch die der Verlauf von Kommunika-
tionsprozessen geleitet wird. Daher ge-
winnt in sozialen Systemen immer nur
derjenige Einfluss, dem es gelingt, in den
Fokus der Aufmerksamkeit einer mög-
lichst großen Zahl von Teilnehmern an
der Kommunikation zu gelangen.“
Ein Populist muss also alles daranset-
zen, den Blick seiner Mitmenschen auf
bestimmte Themen zu lenken. So kann
er „steuernd“ in die Dynamik sozialer
Prozesse eingreifen (wenn auch nicht in
einem mechanischen geradlinigen Sinn
von Ursache und Wirkung). Der Gewinn
von Aufmerksamkeit allein reicht jedoch
nicht. Ein Populist, der andere leiten will,
muss auch noch über die sogenannte
„Deutungshoheit“ verfügen. Er sollte er-
R
Professor Fritz B. Simon.
Der Organisationsberater befasst sich seit vielen Jahren mit
Organisations- und Desorganisationsprozessen in psychischen und sozialen Systemen.
Buchtipp.
„Anleitung zum Populismus“,
Carl Auer 2019, 126 Seiten, 12 Euro
1...,11,12,13,14,15,16,17,18,19,20 22,23,24,25,26,27,28,29,30,31,...68
Powered by FlippingBook