Wirtschaft und Weiterbildung 5/2019 - page 20

titelthema
20
wirtschaft + weiterbildung
05_2019
04.
Suggestionen:
Nutzen Sie
Worte als Waffen (die tatsäch-
liche Gewalt erledigt der Mob)
05.
Personenkult:
Lassen Sie sich
als glorreichen,
charismatischen Held feiern
06.
Ideologie:
Propagieren Sie
eine grandiose nationale
(kulturelle) Identität
R
nur frustrieren, weil sie jedes Mal aufs
Neue erleben lassen, wie allein und un-
verstanden man ist“, sagt Simon. Wenn
man hingegen Mitstreiter findet (acht
bis zwölf Personen reichen zu Beginn),
kann man gemeinsam die Keimzelle einer
mächtigen Bewegung bilden. Die Mitglie-
der der „Bewegung“ können durchaus
unterschiedliche Interessen haben. Die
Hauptsache ist, dass sich alle einig sind,
gegen wen oder was es zu kämpfen gilt.
Den Unterschied zwischen
Denken und Fühlen aufheben
Um diese Einigkeit zu erzeugen und auf-
rechtzuerhalten, muss eine „Geschichte“
erzählt werden. Menschen denken laut
Simon in erster Linie in Geschichten. Sie
sind daher das beste Mittel, das Denken
der Öffentlichkeit im Sinne eines Popu-
listen zu beeinflussen. Geschichten sind
nützlich, …
... weil sie hochkomplexe soziale
Dynamiken in einer Weise
vereinfachen, dass jeder sie
verstehen kann (unabhängig von
Bildung, Intelligenz oder kulturellem
Hintergrund)
... weil sie beispielhaft erzählen, wie die
Welt funktioniert, ohne durch Theorien
abzuschrecken. Sie beschreiben
Handlungen und vermitteln daher
unmittelbar Ideen, was wann wie
zu tun ist, um die jeweils aktuellen
Probleme zu lösen
... weil sie den Unterschied zwischen
Denken und Fühlen aufheben, da sich
jeder mit den Akteuren identifizieren
und mit ihnen mitfiebern kann.
Wer eine Geschichte erfinden will, sollte
sich an ein Schema halten, das weltweit
in den seit Jahrtausenden überlieferten
Mythen vorgegeben wird und den ulti-
mativen Praxistest somit bereits bestan-
den hat: Die aktuelle Situation wird als
katastrophal beschrieben. Ein äußerer
Feind spielt die Hauptrolle. Das aktuelle
politische System ist ihm nicht gewach-
sen. Daher sind radikale Maßnahmen
notwendig. Die Gefahr muss außerdem
unbedingt personalisiert werden. Dazu
eignen sich eine soziale Gruppe, eine Na-
tion, Rasse oder Klasse. Die erzählte Be-
drohung sollte halbwegs glaubhaft sein,
sonst kommt es zu keiner breiten Akzep-
tanz in der Bevölkerung und man wird
womöglich als Spinner und Sonderling
abgetan. Simon: „Um eine Geschichte
zu verbreiten, kann es reichen, dass sich
viele Menschen gern auf die Seite der
Guten, Schwachen stellen, denen Unrecht
getan wird. Andere lassen sich durch
das narzisstische Versprechen, an etwas
Großartigem teilzuhaben, faszinieren.“
Zehn Zutaten des
populistischen „Storytellings“
Die Ingredienzen einer populistisch nutz-
baren Geschichte sind im Einzelnen:
1.
Es gibt eine zusammengehörige
Gemeinschaft wie Volk, Rasse, Nation
(das „wir“).
2.
Dieser Gemeinschaft, dem Volk
(„uns“) geht es schlecht oder unser
Wohlergehen ist akut bedroht.
3.
Die Führungsfiguren („Eliten“),
deren Pflicht es eigentlich wäre, sich
um das Wohl der Gemeinschaft des
Volks zu kümmern, sind entweder
nicht in der Lage oder unwillig, der
Bedrohung oder Notlage angemessen
entgegenzutreten. Außerdem geht es
ihnen nicht schlecht wie dem Volk,
sondern unanständig gut.
„Die vielen Diskussionen über Populis-
mus laufen auf einer wenig nützlichen
Ebene ab. Stets wird analysiert, wie er
entsteht. Aber die Frage, wie man ihn
tatsächlich macht, kommt dabei zu
kurz“, ärgert sich Fritz B. Simon. Um
Abhilfe zu schaffen, hat der Pionier der
systemischen Organisationsberatung jetzt
eine „Anleitung zum Populismus“ (Carl
Auer, 2019) veröffentlicht. Als erfahrener
Praktiker, der sein Leben lang mit Kom-
munikationssystemen gearbeitet hat, ist
Simon an der Beschreibung von Prozess-
mustern interessiert, um dann später in
einem zweiten Schritt Erklärungen dafür
zu konstruieren.
„Wenn man die Kochrezepte kennt, kann
man sich besser entscheiden, ob man das
so Gekochte für genießbar hält“, erklärt
der emeritierte Professor der Universi-
tät Witten/Herdecke. Und er schwört:
„Alles, was in diesem Buch steht, ist an-
gewandte Systemtheorie.“ Es ist ihm be-
sonders wichtig, die Logik und auch die
vorhersehbaren Konsequenzen populis-
tischer Methoden zu zeigen: Sie führen
zwangsläufig in den Totalitarismus, weil
Populismus immer von der Unterschei-
dung „wir“ gegen „die anderen“ lebt und
letztlich die Unterdrückung der „ande-
ren“ zum Ziel hat. Das gilt auch für einen
„linken Populismus“, der manchmal als
Antwort auf die „Rechte“ gefordert wird.
Politische Prozesse sind
Kommunikationsprozesse
Wer ein schlagkräftiger Populist werden
will, sucht sich Mitstreiter. Politische
Prozesse sind Kommunikationsprozesse!
„Und allein kann man nun mal nicht
kommunizieren, wenn man sich nicht
mit Selbstgesprächen begnügen will, die
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