Wirtschaft und Weiterbildung 5/2019 - page 15

wirtschaft + weiterbildung
05_2019
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Holsboer:
Die Entwicklung unserer Arbeitsplätze hat nur zum
Teil mit der Konjunktur oder der Digitalisierung zu tun. Wir
haben ein anderes Problem: die Demografie. Wir verlieren
in den nächsten zehn Jahren etwa ein Drittel unserer 95.000
Beschäftigten, weil sie in Rente gehen. Wir haben in unserer
strategischen Personalplanung ein komplettes Lagebild erstellt,
wo wir wann welchen Bedarf haben. Das haben wir in Tools
gegossen, mit denen wir Automatisierungsszenarien hoch-
rechnen können. Dabei müssen wir auch bedenken, wie sich
die sinkenden Arbeitslosenzahlen auf unsere Dienstleistungen
auswirken.
Könnten Sie das genauer erklären?
Holsboer:
Wenn wir zum Beispiel im Bereich Leistungsbe-
rechnung demnächst einen bestimmten Anteil der Tätigkeiten
automatisieren können, sehen wir, wie sich das in Relation
zum Personal verhält – also ob wir in einen Überhang kom-
men oder rekrutieren müssen. Die gute Nachricht ist: Erst ab
unrealistischen 60 Prozent Automatisierung hätten wir einen
Überhang. In unserer Personalpolitik geht es in den nächsten
Jahren also um ein kluges Nachbesetzen und um Qualifizie-
rung. Dabei ist uns vor allem wichtig, dass die Beschäftigten
Einsatzflexibilität haben. Wir brauchen künftig Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter, die gut und vielseitig qualifiziert sind,
damit diese im Laufe ihres Berufslebens auch zwischen den
Bereichen wechseln können.
Wie sieht Ihre Qualifizierungsstrategie vor diesem Hintergrund
aus?
Holsboer:
Wir müssen den Begriff „lebenslanges Lernen“ neu
denken. Ich weiß, das sagt jeder seit Jahren – das fühlt sich
inzwischen an wie ein Kaugummi, der zu lange im Mund ist.
Aber lebenslanges Lernen war noch nie so wichtig wie heute.
Schon früher hatte man ohne Qualifizierung das größte Risiko,
arbeitslos zu werden. Durch Strukturwandel und Digitalisie-
rung können nun jedoch auch Menschen, die eine Ausbildung
oder ein Studium abgeschlossen haben, das Thema nicht mehr
für den Rest ihres Lebens abhaken. Egal ob es um eine kom-
plett neue Qualifizierung oder um kleine Learning Nuggets
geht – wir brauchen die Bereitschaft, ständig weiter zu lernen.
Gerade prüfen wir vor diesem Hintergrund in der BA die Pro-
zesse und Weiterbildungsangebote auf ihre Tauglichkeit. Das
ist wie das Ausmisten bei einem Umzug: Wir nehmen jeden
Becher aus der Vitrine und überlegen, nehmen wir das in die
neue Wohnung mit oder nicht.
Was hat diese Prüfung bislang ergeben?
Holsboer:
Wir haben auch in der Vergangenheit viel qualifi-
ziert. Die BA bietet ihren Beschäftigten ein tolles Seminaran-
gebot und viele digitale Lernprogramme. Lernen mithilfe von
Online-Learnings in den Alltag zu integrieren, ist insbesondere
für Teilzeitkräfte und Menschen mit Familienverpflichtungen
wichtig. Sie können sich nicht tage- oder wochenlang in Semi-
R
Valerie Holsboer.
Die Juristin ist im
Vorstand der Bundesagentur für
Arbeit (BA) zuständig für Personal,
Finanzen und Controlling.
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