Wirtschaft und Weiterbildung 5/2019 - page 17

wirtschaft + weiterbildung
05_2019
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konkrete Seminare, in denen man übt, wie man die Software
xy bedient?
Holsboer:
Wie brauchen alles: Wir müssen lernen, mit den
neuesten digitalen Werkzeugen umzugehen und neue me-
thodische Kompetenzen in der Beratung aufzubauen. Aber
mindestens genauso wichtig ist es, ein stärkeres Wirgefühl in
der Organisation zu entwickeln. Früher waren viele Prozesse
einfach hierarchiegetrieben: Meistens hat die Unternehmens-
zentrale sich etwas ausgedacht und die anderen mussten das
top-down umsetzen. Wir haben ein sehr versäultes Denken.
Das brechen wir jetzt langsam auf, indem wir bereichs- und
hierarchieübergreifend neue Dinge anstoßen.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Holsboer:
Wenn wir im HR-Bereich ein neues Qualifizierungs-
monitoring entwickeln, das regelt, wer wo welche Schulung
bekommt, dann sitzen von Beginn an die ITler mit den Perso-
nalern zusammen und konzipieren das gemeinsam in einem
konstruktiven Schaffensprozess. Es gibt keine konkrete Ansage
mehr, sondern ein Zielbild, wo sich alle fachübergreifend hin‑entwickeln sollen. Das ist nicht so leicht. Aber wenn es gelingt,
hat das Neue eine ganz andere Verbindlichkeit, weil man es
selbst mitgeschaffen hat.
Das klingt fast wie eine kleine Revolution: Eine Behörde, die
Abteilungssilos aufbricht?
Holsboer:
Ich spreche lieber von Evolution statt von Revolu-
tion. In unserer Strategie BA 2025 ist das Handlungsfeld „Füh-
rung und Kultur“ festgeschrieben – es geht um eine Organisa-
tionskultur, die wenig mit dem Organigramm und mehr mit
der Haltung zu tun hat. Leider verstecken sich manche hinter
Organisationsstrukturen oder spielen Bereiche gegeneinan-
der aus. Wir haben innerhalb des Vorstands das ganz klare
Commitment, dass wir ein Miteinander vorleben möchten und
Kästchendenken nicht honorieren. Wir sprechen jetzt auch in-
tern nicht mehr von „internen Kunden“. Unsere Kunden sind
ausschließlich extern, die Arbeitslosen, Arbeitnehmer und
Unternehmen, die mit ihren Bedarfen zu uns kommen. Denn
wenn wir unsere Bereiche intern als Kunden verstehen, dann
sind wir ja schon zufrieden, wenn es die Kollegen auch sind.
Das reicht nicht mehr aus. Wir haben für die nächsten Jahre
eine höhere Qualität auf der Agenda und das ist untrennbar mit
Qualifizierung verbunden. Weiterbildung ist kein Luxus, den
man sich einmal gönnt, wenn alles andere schon gemacht ist.
Wie kommt dieser frische Wind denn bei Ihren
Führungskräften an?
Holsboer:
Wahrscheinlich haben viele noch gar nichts davon
mitbekommen. Es wäre vermessen zu glauben, dass die Ideen
des Vorstands von heute auf morgen bei 95.000 Mitarbeitern
ankommen. Wir müssen ja über die ganzen Kaskaden in der
Flächenorganisation kommunizieren. Wir hatten gerade einen
großen Kongress für mehr als 700 Führungskräfte und sind
noch dabei, die neue Strategie zu verankern. Bisher hat noch
keine Führungskraft gesagt, dass sie das nicht gut findet.
Sehen Sie sich damit als Vorbild für andere Arbeitgeber?
Holsboer:
Auf einem Lernbegleiter-Kongress haben wir zum
Beispiel sehr positives Feedback von anderen Unternehmen
bekommen. Die Personalentwickler, die da waren, zeigten sich
beeindruckt, wie weit wir bei dem Thema schon sind und dass
es die volle Aufmerksamkeit des Vorstands hat.
Wie unterstützen Sie konkret Arbeitgeber in Sachen
Qualifizierung ihrer Mitarbeiter?
Holsboer:
Je besser wir unsere Mitarbeitenden schulen, desto
besser können wir die Arbeitgeber beraten. Wir haben mit dem
Qualifizierungschancengesetz erstmals auch die Möglichkeit,
Unternehmen jeder Betriebsgröße finanziell dabei zu unterstüt-
zen, ihre Beschäftigten weiterzuqualifizieren. Es gab in der Ver-
gangenheit schon das Finanzierungsinstrument „WeGebAU“,
aber nur für Kleinbetriebe und bisher ungelernte Menschen.
Nun hat die Politik zu Recht verstanden, dass Qualifizierung
nie aufhört.
Arbeitgebervertreter haben sich insgesamt positiv zum Qua-
lifizierungschancengesetz geäußert. Es gab aber auch einige
Kritikpunkte. Zum Beispiel sei effizientes Lernen am besten
im Betrieb möglich, was aber im Gesetz ausgespart wurde ...
Holsboer:
Ich kann die Kritikpunkte der Arbeitgeber gut verste-
hen. Aber was das Gesetz betrifft, denke ich sehr pragmatisch:
Es wurde ordnungspolitisch heiß diskutiert, ob man Betriebe
bei ihren Weiterbildungsaktivitäten aus Beitragsmitteln för-
dern sollte. Ich finde das richtig, denn erstens sind Arbeitgeber
auch Beitragszahler und zweitens ist Prävention das beste Mit-
tel gegen Arbeitslosigkeit. Wir haben nichts davon, wenn uns
Strukturwandel und Digitalisierung in zehn Jahren oder noch
schneller un- oder entqualifizierte Menschen vor die Tür spü-
len. Wir haben ein hohes Interesse daran, dass die Arbeitgeber
ihre Beschäftigten auch innerbetrieblich fortbilden. Aber mehr
wäre fürs Erste bei diesem Gesetz nicht drin gewesen und es ist
gut, dass damit ein Anfang gemacht ist.
Interview: Stefanie Hornung
Valerie Holsboer.
Sie startete ihre Karriere als Hauptgeschäfts-
führerin des Bundesverbands der Systemgastronomie.
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